Anne Will im Interview "Ich würde auch zu Erdogan fahren"

Düsseldorf · Die Moderatorin Anne Will will Menschen für Politik interessieren und verrät im Interview mit unserer Redaktion einen Trick, wie sie redselige Politiker verstummen lässt.

Anne Will lässt Gäste gerne ausreden.

Anne Will lässt Gäste gerne ausreden.

Foto: Andreas Breetz

Wie eitel darf ein Moderator einer politischen Talkshow eigentlich sein?

Will Keine Ahnung, ich würde mich jedenfalls nicht als besonders eitel bezeichnen. Ich bin aber eitel genug, um nicht als eitel gelten zu wollen. Der Satz ist nicht von mir, sondern von der Schauspielerin Tilda Swinton.

Das ist äußere Eitelkeit, wie steht es um die professionelle, bei der man zeigen will, wie gut man vorbereitet ist?

Will Das ist keine Frage der Eitelkeit, sondern der Kompetenz. Meine Aufgabe ist, Diskussionen über zum Teil hochkomplexe Themen zu steuern. Da muss man sich natürlich gut vorbereiten. Das bin ich den Zuschauern schuldig und meinen ebenfalls gut vorbereiteten Gästen.

Welchen gesellschaftlichen Beitrag leisten politische Talkshows?

Will Sie schaffen es, Millionen Menschen für Politik zu interessieren.

Machen Sie politische Bildung oder politische Unterhaltung?

Will Ich habe jetzt keinen strengen pädagogischen Anspruch, aber mein Ziel ist es schon, dass die Zuschauer am Ende ein bisschen schlauer sind als zuvor und zu einem Thema etwas Neues erfahren haben.

Sie moderieren sehr ruhig, lassen Ihren Gästen Raum.

Will Ja. Ich halte viel davon, Gäste ausreden zu lassen, so lange sie noch beim Thema sind. Und ein sachlicher Ton gefällt mir auch.

Wären auch weniger Teilnehmer für eine Diskussion denkbar?

Will Ja, klar, wir können alles machen. Es müssen nicht immer vier oder fünf Menschen dasitzen, und zum Beispiel auch nicht von jeder Partei ein Vertreter. Wir wollen aber mehrere Aspekte eines Themas abbilden, und dafür sind natürlich mehr Teilnehmer von Vorteil.

Man hat aber das Gefühl, dass immer die gleichen Gäste dort sitzen.

Will Das finde ich nicht. Uns gelingt immer wieder, neue Gäste zu finden. Vergangenen Sonntag hatten wir zum Beispiel gleich zwei Gäste, die noch nie in einer Talkshow gesessen haben: Die Generalsekretärin von Amnesty International, Selim Çaliskan, und der AKP-Abgeordnete Mustafa Yeneroglu. Wir besetzen immer entlang des Themas. Wer vertritt welche Position, und welche wird in der Runde gebraucht? Stimmte Ihr Eindruck, hieße das, wir hätten unsere Arbeit nicht gut genug gemacht. Aber natürlich gibt es bei Funktionsträgern nicht so viel Auswahl: Es gibt halt nur einen Kanzleramtsminister, und wenn Peter Altmaier zusagt - was auch nicht so häufig der Fall ist -, freuen wir uns.

Die politische Diskussion ist seit der Flüchtlingskrise aufgewühlter und unerbittlicher geworden. Heizt eine Talkshow das nicht zusätzlich an?

Will Es stimmt, dass das Flüchtlingsthema stark polarisiert, ja sogar radikalisiert hat. Umso wichtiger ist es, dass wir in unserer Sendung versuchen, das Thema nüchtern zu diskutieren. Dann heizt man nicht an, sondern versachlicht.

Ihre Sendung wird auf Twitter und in sozialen Netzwerken intensiv kommentiert. Reagieren Sie darauf?

Will Nein. Während der Sendung bekomme ich keine Hinweise über die Kommentare. Man darf die Debatte im Netz auch nicht überbewerten, das ist ein eigener Sport, der in einer eigenen Community gespielt wird. Und so gern ich das auch oft lese, so wenig werden wir uns dadurch unser Tun diktieren lassen. In den sozialen Netzwerken finden sich ja sehr viel ritualisierte Empörung, Häme, Bösartigkeiten aller Art, die in der Sache überhaupt nicht weiterhelfen. Das bewirkt eine Beschleunigung von vermeintlichen Neuigkeiten, der wir uns zu entziehen versuchen.

Haben Sie ein Facebook-Konto?

Will Nein. Ich habe bisher auch nicht das Gefühl, dass ich etwas verpasst habe.

Was bedeutet Ihnen Politik?

Will Sie ist mir wichtig, ich habe mich immer für Politik interessiert. Denn in erster Linie bin ich ja eine Bürgerin dieses Landes. Politik hat für jeden eine Bedeutung. Entscheidungen werden nicht einfach getroffen, sie wirken sich auf unser aller Leben aus.

Haben Sie durch die Sendung mehr Respekt vor Politikern bekommen?

Will Ich hatte schon immer einen hohen Respekt, der durch die Beschäftigung mit Politik eher noch gewachsen ist. Spätestens als ich die "Tagesthemen" moderierte, ist mir noch einmal klarer geworden, wie fordernd, auch zeitlich fordernd, dieser Job ist, wie komplex die Themen sind und wie extrem es ist, sich immer wieder in neue Themen einzuarbeiten und dazu dann vor jedem Mikrofon hoffentlich das Richtige zu sagen.

Warum durften Sie den Sonntag von Günther Jauch übernehmen?

Will Wir haben schon immer gezeigt, dass wir ein klares, aktuell politisches Profil haben. Das wollte die ARD für den Sonntag: eine dezidiert politische Talkshow, die auch die vermeintlich langweiligen, sperrigen Themen anfasst.

Was ist langweilig oder sperrig? Das Klimaabkommen?

Will Zum Beispiel! Das haben wir nicht gemacht, haben aber schon oft Themen behandelt, von denen man denkt: Das kannst du nicht ernsthaft machen. Wir waren die erste Talkshow mit einer Sendung zum Freihandelsabkommen TTIP, und ich glaube, wir sind auch die letzte (lacht).

Wann legen Sie das Thema fest?

Will Mit der anderen Mediennutzung heute verfallen Themen immer schneller: Ein Thema, das heute noch spannend war, ist morgen schon alt und langweilig. Für uns wird es schwieriger, schon Mitte der Woche vorherzusagen, welches Thema sich bis Sonntag hält. Das ist aber unser Ehrgeiz. Unser großer Vorteil ist die Live-Sendung, wir haben auch schon fünf Stunden vorher noch einmal alles umgeschmissen. Aber in der Regel steht die Sendung am Freitagabend.

Redet der Sprecher von Justizminister Heiko Maas noch mit Ihnen? Er hat in einer Sendung nach jedem Redebeitrag seines Ministers laut geklatscht, Sie haben ihn enttarnt.

Will Ja, und es hat auch etwas ausgelöst. Am letzten Sonntag zum Beispiel habe ich mitbekommen, wie unsere Gäste sich gegenseitig aufgezogen haben nach dem Motto: Pfeif deine Presseleute zurück, du weißt ja, das geht hier nicht durch. Jetzt ist es sehr still geworden bei uns im Publikum (lacht).

Fast schon zu still, am vergangenen Sonntag mussten Sie um Anfangsapplaus bitten.

Will Das stimmt. Das war neu. Aber wir animieren niemanden zum Klatschen. Nur hätte ich es am Anfang schon gerne, dass ich "Guten Abend" sage und die Menschen dann klatschen, damit jeder weiß, dass es jetzt losgeht. Da muss ich wohl bei der nächsten Sendung noch mal extra drum bitten.

Wie gehen Sie mit der AfD um?

Will Wie mit jeder anderen Partei auch. Wir laden ihre Vertreter ein, wenn wir glauben, dass sie zu einem Thema passen, genau wie bei allen anderen Gästen auch.

Haben Sie eine schwarze Liste von Gästen, die Sie nicht mehr einladen?

Will Nein.

Wie stoppen Sie den Redefluss der Gäste?

Will Durch kurze, knackige Fragen, durch Nachhaken, durch Unterbrechen.

Wie finden Sie das, wenn Moderatoren Gesprächspartner anfassen, um sie einzufangen?

Will Das habe ich auch schon gemacht, letzten Sonntag erst bei Peter Altmaier. Das ist ein normales Mittel: Wenn man in den Bereich des anderen eindringt, wird er wahrscheinlich verstummen. Sie können dem anderen auch mit Körpersprache zugestehen, dass er nun wirklich weit ausholen darf, indem Sie sich zurücklehnen und ihn reden lassen. Das mache ich oft bei ungeübten Gästen, um ihnen Sicherheit zu geben.

Die Kanzlerin war in einem Jahr zwei Mal bei Ihnen. Will Frau Merkel bisher nur mit Ihnen reden?

Will Das glaube ich nicht. Sie hatte Einladungen von allen Talksendungen, sie konnte sich das aussuchen. Sie hat sich für uns entschieden, und da wäre ich bekloppt gewesen, wenn ich das nicht gemacht hätte. Denn in dieser Zeit ist sie doch ein hochspannender Gast.

Haben Sie mal drüber nachgedacht, sie über Jahre zu begleiten, wie es zum Beispiel Sandra Maischberger mit Helmut Schmidt gemacht hat?

Will Habe ich nicht. Und die Bundeskanzlerin hat sicherlich Besseres zu tun, als jetzt jahrelang mit mir auf Reportagereise zu gehen.

Welchen Gast würden Sie unbedingt einmal interviewen wollen?

Will Das bin ich oft gefragt worden, aber ich habe keinen Kandidaten.

Auch nicht Erdogan?

Will Ihn haben wir auch angefragt, selbstverständlich. Der türkische Staatspräsident gibt aber so gut wie keine Interviews. Aber wenn, würden wir auch zu ihm fahren, kein Thema.

Dürften Sie sich eigentlich politisch äußern, zum Beispiel in der Flüchtlingsfrage?

Will Ich halte mich aus guten Gründen zurück. Wer genau hinhört, der merkt aber, dass ich natürlich zu jedem Thema eine Haltung habe. Sonst könnte ich auch gar nicht arbeiten. Allerdings wäre es dumm, wenn ich meine Meinung allzu offen durchblicken ließe, denn dann kille ich eine Diskussion, die ich ja erst aufbauen und führen möchte.

Ihre Lebensgefährtin lebt in Düsseldorf, deshalb sind Sie oft hier am Rhein. Was gefällt Ihnen?

Will Als Kölnerin bin ich hier mit einer Menge Arroganz aufgelaufen, ich kannte Düsseldorf gar nicht. Aber inzwischen mag ich die Stadt gerne, bin gerne hier und erkunde vieles beim Laufen - am liebsten am Rhein oder im Volksgarten. Und den Medienhafen mag ich auch.

(brö)
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