Merkel bei Anne Will Fünf Sätze lassen aufhorchen

Düsseldorf · Schon wieder rechtfertigt Angela Merkel in einem großen TV-Gespräch ihren Kurs in der Flüchtlingskrise. Sie zeigt sich unbeirrt und kämpferisch. Mehrfach gibt es spontanen Applaus im Studio. Auch wegen einiger bemerkenswerter Sätze.

Angela Merkel bei Anne Will: "Für ihre Kritiker eher verstörend"
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Presse zu Merkel bei Will: "Für ihre Kritiker eher verstörend"

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Für eine Kanzlerin, die derart unter Druck steht, war es am Sonntagabend ein erstaunlicher Auftritt. Entweder sie ist eine glänzende Schauspielerin. Oder sie ist wirklich so von sich und ihrer Linie überzeugt.

Das 2011 zum Unwort des Jahres gekürte "alternativlos" — bei Merkel schwingt es wieder mit. Denn jeder von Anne Will vorgetragener Einwand gegen ihre Flüchtlingspolitik läuft bei Merkel ins Leere. Die Radikalisierung in Deutschland, die Isolierung in Europa, der Verweis auf die Gegner in der eigenen Partei. Merkel stellt klar: Sie wird ihren Weg weitergehen. Und das heißt auch: Alles oder nichts. Denn einen Plan B hat sie nicht, wie sie freimütig einräumt.

Dabei formuliert sie mehrere sehr bemerkenswerte Sätze, an denen sich festmachen lässt, warum sie an ihrem Kurs festhält.

"Ich will nichts versprechen, was drei Wochen hält und anschließend nicht mehr."

Das Publikum quittiert diesen Satz mit Applaus. Merkel präsentiert sich bei Anne Will als Politikerin der Nachhaltigkeit. Ihre Lösung, davon gibt sie sich überzeugt, soll eine sein, die dauerhaft hält. Und das kann in ihren Augen nur bedeuten: Fluchtursachen bekämpfen, Außengrenzen sichern, Schengen in seiner Gesamtheit erhalten. Dafür gebe es auch seit dem jüngsten EU-Gipfel eine gemeinsame Linie mit den anderen Staats- und Regierungschefs. Maßnahmen wie eine Obergrenze hält sie nur für Scheinlösungen, weil dadurch die Probleme nicht verschwinden, sondern nur verschoben werden. Das aber würde die Politikverdrossenheit nur fördern.

"Diese Freiheit brauche ich."

Merkel nämlich verweist mit ihrem Satz auf ihre Verhandlungen mit der Türkei. Würde man in Deutschland eine Obergrenze festlegen und die Grenzen dichtmachen, wäre in der Türkei ihre Glaubwürdigkeit dahin. Wenn das passiert, könnte sie Ankara nie dazu bewegen, seinerseits die Grenzen zu kontrollieren und Hunderttausenden Syrern im eigenen Land Schutz zu gewähren als Gegenleistung für europäische Milliarden, Kontingente und andere Hilfsangebote der Europäer. Das eben ist der Unterschied zu Horst Seehofer. Der muss keine tragfähigen internationalen Vereinbarungen treffen.

"Ich bin manchmal auch verzweifelt."

Nur in Ansätzen gibt sie zu erkennen, dass es für sie alles andere als leicht ist in diesen Wochen. Aber das hilft ja auch nicht. So redet Merkel weiter: "Und dann sage ich einen Satz und dann sage ich, wie ich mir vorstelle, dass aus der Verzweiflung wieder etwas Vernünftiges wird." Ihre Botschaft: Eine gute Lösung gibt es nur, wenn wir beharrlich bleiben und auf den Verstand vertrauen. Eine humanitäre Katastrophe mit Zehntausenden gestrandeten Flüchtlingen in Griechenland und einem Scheitern von Schengen kann in ihren Augen keine gute Lösung sein.

"Man ist nicht Politiker dafür, dass man die Welt beschreibt und sie katastrophal findet."

Merkel, die Problemlöserin. Die Soziologen und Journalisten können ja das Ende der Europäischen Union herbeikommentieren. Nicht aber verantwortungsvolle Politiker. Die seien dafür, die bestmöglichen Lösungen für ihr Land zu finden. Das, so macht sie es glauben, ist ihr Selbstverständnis.

Angela Merkel spricht mit Anne Will über die Flüchtlingspolitik
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"Ich sehe nichts (sie lächelt), was das hervorrufen könnte, weil das alles gut durchdacht ist und ja auch logisch ist."

An dieser Stelle wird die ganze Tragik der derzeitigen politischen Misere in Europa deutlich. Merkel antwortete Will auf die Frage, was sie denn überhaupt von ihrem Kurs abbringen könnte. Sie sagt, dass ja auch niemand an der Logik dieses Plans zweifle, selbst Horst Seehofer nicht. Aber dann auch: "Leider glauben so wenige daran." Für die Physikerin muss das eine Tortur sein. Logisch zwingende Schlussfolgerungen, an die kaum einer glaubt.

(pst)
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