Graz Familiendrama Auslöser für Amokfahrt?

Graz · Minutenlang rast ein 26-Jähriger durch die Innenstadt von Graz in Österreich, fährt auf einen belebten Platz mit Cafés voller Besucher. Drei Menschen sterben, Dutzende werden verletzt. Das Land steht unter Schock.

Die sonst belebte Innenstadt ist fast menschenleer. "Graz trauert" steht auf großen Anzeigentafeln geschrieben. Dort, wo am Vortag drei Menschen starben, wurden Blumen und unzählige brennende Grablichter niedergelegt. Im digitalen Kondolenzbuch der Stadt finden sich Trauerbekundungen aus der ganzen Welt. Österreich ist nach der Amokfahrt eines 26-Jährigen am Samstag noch immer wie gelähmt. Der Mann war laut Polizeiangaben mit seinem Auto mit rund 100 Stundenkilometern durch das Zentrum von Österreichs zweitgrößter Stadt gerast. Er lenkte das Fahrzeug gezielt auf Gehsteige und erfasste damit Dutzende Passanten.

Ganze fünf Minuten dauerte die Amokfahrt, danach stellte sich der Fahrer selbst der Polizei. Ein frisch verheiratetes Paar, 25 und 28 Jahre alt, und ein vierjähriger Junge wurden bei der Raserei getötet. Die Ärzte in den Krankenhäusern rechnen mit weiteren Opfern: Von den 34 Verletzten schwebten gestern noch drei in Lebensgefahr, bei weiteren drei konnte die Lage stabilisiert werden.

Beinahe wäre auch der Bürgermeister von Graz Opfer der Wahnsinnstat geworden. Der ÖVP-Politiker Siegfried Nagl war, wie er vor Journalisten erzählte, mit seinem Roller in der Innenstadt unterwegs, als plötzlich Panik ausbrach und ein Geländewagen in die Menschenmassen fuhr. "Der Fahrer hat auch mich und noch andere Passanten anvisiert, aber ich konnte flüchten", so Nagl.

Die Motive des Täters sind noch nicht restlos geklärt, er sei, so die Grazer Polizei, nicht vernehmungsfähig. Eine Polizeiärztin diagnostizierte eine "schwere Psychose". Der Amokfahrer ist junger Familienvater und war zuletzt von den Behörden wegen häuslicher Gewalt der Wohnung verwiesen worden. Inzwischen ist seine Frau mit den zwei Kindern in ihre Heimat nach Bosnien zurückgekehrt. Das dürfte der 26-Jährige nicht verkraftet haben.

Die Polizei schließt einen politischen oder religiös gesteuerten Terrorakt aus. Boulevardmedien hatten bereits darüber spekuliert, weil der Täter aus Bosnien stammt. Auch Heinz-Christian Strache, der Chef der rechten FPÖ, schlachtete die Tat für seine Kampagne gegen Ausländer islamischen Glaubens weidlich aus. Obwohl längst bekannt war, dass der Amokfahrer bereits als Junge nach Österreich kam - seine Eltern waren vor dem Krieg in Bosnien geflohen - hetzte Strache auf seiner Facebookseite: "Wahnsinnstat in Graz! Der Täter ist aus Bosnien. Ein religiös begründetes Attentat wird nicht ausgeschlossen." Illustriert war der aufhetzende Text mit dem Wrack des Täterfahrzeugs. "Schämen Sie sich, Herr Strache, schämen Sie sich!" postete der populäre Grazer Fußballer Marko Stankoviæ, ein gebürtiger Österreicher mit serbischen Wurzeln.

Derweil ist die Anteilnahme groß. Graz sagte ein für Samstag angesetztes Testspiel kurzfristig ab. Die Gedanken seien bei den Angehörigen der Opfer und bei den Menschen, die ihnen nahestanden, teilte der Verein mit. Der Musiker Andreas Gabalier beendete sein Konzert in Spielberg mit einer Trauerminute. Schauspieler Arnold Schwarzenegger zeigte sich über die Amokfahrt in seiner Heimat entsetzt. "Was in Graz passiert ist, ist unsagbar traurig, weil Menschen ihr Leben verloren haben oder verletzt wurden", sagte er gestern.

(RP)
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