Berlin Wann ist ein Nein ein Nein?

Berlin · Gina-Lisa Lohfink steht vor Gericht, weil sie zwei Männern zu Unrecht eine Vergewaltigung angelastet haben soll. Der Prozess hat eine Debatte um das Sexualstrafrecht ausgelöst. Union und SPD wollen die Gesetze nun verschärfen.

Fall Gina-Lisa Lohfink: Wann ist ein Nein ein Nein?
Foto: dpa, car fdt

Als Gina-Lisa Lohfink gestern früh vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten erscheint, brandet Applaus auf. Einige Dutzend Frauen haben sich vor dem Gebäude versammelt, unter ihnen Mitglieder der "Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt". Immer wieder sind Sprechchöre zu hören. "Du bist nicht allein", rufen die Demonstrantinnen, und bieten auf Transparenten gleich noch ihre Botschaften an die Welt dar: "No means no - Gegen den sexistischen Normalzustand" ist dort etwa zu lesen.

Wenige Minuten später geht im Inneren des Gebäudes der Prozess gegen die 29-Jährige weiter. Die frühere Kandidatin von "Germany's Next Topmodel" hatte vor vier Jahren Anzeige gegen zwei Männer - einen Fußballprofi und einen Manager - erstattet. Ihr Vorwurf: Die beiden sollen sie nach einer Partynacht in Berlin unter Drogen gesetzt und vergewaltigt haben. Zudem sollen sie Videoaufnahmen der Tat im Internet verbreitet haben.

Für das Verbreiten der Videos wurden beide Männer dann auch tatsächlich verurteilt - den Vorwurf der Vergewaltigung aber sah das Gericht damals nicht bestätigt. Wegen falscher Verdächtigung wurde daraufhin ein Strafbefehl in Höhe von 24.000 Euro gegen Lohfink erlassen. Weil das Model diesen nicht akzeptierte, steht es nun selbst vor Gericht.

Mag es im Gerichtssaal einzig um die Beantwortung der Frage gehen, ob die Vergewaltigungs-Vorwürfe Bestand haben, hat der Prozess in der Öffentlichkeit eine Debatte um ein schärferes Sexualstrafrecht entfacht. Gestritten wird vor allem darüber, ab wann sexuelle Handlungen als Vergewaltigung eingestuft werden können.

Um etwa in diesem Punkt Klarheit zu schaffen, soll das Sexualstrafrecht nach den Plänen von Union und SPD grundlegend überarbeitet werden. So soll sich eine Frau nach dem Prinzip "Nein heißt nein" künftig nicht mehr körperlich wehren müssen, um zu verdeutlichen, dass sie sexuelle Handlungen nicht wünscht - ein einfaches "Nein" soll dafür ausreichen. Auch wenn die fehlende Zustimmung offensichtlich ist, weil das Opfer beispielsweise weint, soll künftig eine Vergewaltigung festgestellt werden können.

Über dieses Prinzip ist lange gestritten worden. Die Frauen von Union und SPD fordern bereits seit Jahren eine entsprechende Nachbesserung im Gesetz. Die Gegner hingegen argumentieren, dass damit auch die Zahl der Anzeigen wegen Vergewaltigung gegen Unschuldige deutlich steigen könnte. Allerdings war ein solcher Anstieg auch nicht zu verzeichnen, als Ende der 90er Jahre die Vergewaltigung in der Ehe als Straftatbestand eingeführt wurde. Auch damals hatte man einen Missbrauch des Straftatbestands befürchtet.

Ein Eckpunktpapier von Union und SPD sieht zudem vor, das Begrapschen und das systematische Antanzen und körperliche Bedrängen von Frauen mit einer Freiheitsstrafe belangen zu können. Damit soll die von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) vorgeschlagene Reform des Sexualstrafrechts nachgeschärft werden. Ziel ist es, das Gesetz noch vor der Sommerpause zu verabschieden.

So dringend die Überarbeitung des Sexualstrafrechts ist, so drängend ist die Frage, ob der Lohfink-Prozess richtiger Anlass und geeignete Bühne für die entstandene Diskussion ist - zu unklar scheint die Beweislage, zu breit der Raum für Interpretationen.

Als Beweismittel für die mutmaßliche Vergewaltigung etwa dient unter anderem ein Video, auf dem die sexuellen Handlungen zwischen dem Model und den beiden Männern zu sehen sind. Schon hier zeigt sich, wie kompliziert die Angelegenheit gelagert ist: Zu hören ist auf dem Video zwar eindeutig, wie Lohfink "Nein" und "Hör auf" sagt. Die Frage jedoch ist, ob Lohfink damit den Sex an sich oder die Aufnahme des Videos meint - oder gar etwas ganz anderes.

Neben diesem Video existieren noch weitere Aufnahmen aus dem Zeitraum, in denen die beiden Männer und das Model zusammen waren. Gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" behauptete der Anwalt der beiden, auf den Videos sehe man, wie Lohfink tanze und singe, einen der beiden Männer küsse, zu einem Sofa gehe oder am Computer sitze. Während des Filmens soll sie das Zimmer immer wieder verlassen haben. Sogar der Anwalt des Models spreche in der Anzeige von "einvernehmlichen sexuellen Handlungen".

Auch ein Toxikologe der Berliner Charité betrachtete die Video-Sequenzen. In einem Gutachten schloss er aus, dass Lohfink - entgegen ihren eigenen Vermutungen - unter dem Einfluss sogenannter K.o.-Tropfen gestanden habe.

Lohfink selbst soll gegenüber der Polizei angegeben haben, vermutlich wegen solcher Mittel Erinnerungslücken zu haben. Sie sei jedoch von den Männern mehrfach zum Sex gezwungen worden. Zudem habe sie "Nein, nein, nein" und "Hilfe, Polizei" gerufen und darüber hinaus versucht, aus der Wohnung, in der die Taten stattgefunden haben sollen, zu fliehen.

Vor dem Gericht steht nun - wie so häufig - Aussage gegen Aussage. Und während sich die Justiz in den kommenden Tagen darauf konzentrieren muss, nüchtern abzuwägen, einzuschätzen und letztlich zu urteilen, stehen sich auch vor den Türen des Gerichts zwei Lager gegenüber. Diejenigen, für die der Prozess ein Symbol für ein unzulängliches Sexualstrafrecht und Gina-Lisa ein Symbol für den Kampf gegen die Ungerechtigkeit ist - und diejenigen, die in all dem nur eine kalkulierte Inszenierung sehen.

Im Prozess wurde gestern einer der beiden mutmaßlichen Vergewaltiger in den Zeugenstand gerufen. Der 28-jährige Fußballer gab an, an drei aufeinanderfolgenden Tagen im Juni 2012 einvernehmlichen Sex mit Lohfink gehabt zu haben. "Ich würde niemals etwas machen, was sie nicht will", so der Angeklagte. Vielmehr habe er Gefühle für das Model entwickelt. Den Strafbefehl gegen ihn wegen des verbreiteten Sex-Videos habe er nur akzeptiert, um die Angelegenheit nicht weiter in die Öffentlichkeit zu bringen. "Ich habe sehr darunter gelitten, das hat meiner Karriere geschadet."

Lohfink sprach vor Gericht nur über ihre Anwälte und verfolgte den Prozess unter Tränen. Am Nachmittag kam es dann zu einem Eklat: Die Richter hatten das Video, auf dem die sexuellen Handlungen zu sehen sind, abgewandt vom Publikum und ohne Ton angesehen, die Öffentlichkeit währenddessen aber nicht ausschließen wollen - Lohfink und ihre Verteidiger verließen empört den Gerichtssaal.

(RP)
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