Traunstein Fahrdienstleiter gesteht Schuld ein

Traunstein · Beim Prozessauftakt um das Zugunglück von Bad Aibling räumt der Angeklagte Michael P. ein, bis kurz vor dem Zusammenprall der Regionalzüge auf dem Handy gespielt zu haben. Zwölf Menschen kamen dabei ums Leben.

Es ist ein kleinerer schlanker Mann, der von den Polizeibeamten in den Saal des Landgerichts Traunstein geführt wird: schwarzer Anorak, Jeans, gepflegter Vollbart, dunkles Haar. Ein unscheinbarer Mann - Michael P., 40 Jahre alt, Fahrdienstleiter bei der Deutschen Bahn. Er soll die Zugkatastrophe von Bad Aibling vom 9. Februar verursacht haben, bei der zwölf Menschen ums Leben kamen und 89 teils schwer verletzt wurden. Es war eines der größten Zugunglücke in der Geschichte der Bundesrepublik. Bis kurz vor dem Zusammenprall der beiden Regionalzüge auf der eingleisigen Strecke Holzkirchen-Rosenheim hatte P. im Dienst auf dem Handy gespielt, er hatte beide Züge fahren lassen, dann bei einem Notruf auf die falsche Taste gedrückt. Jetzt steht er vor Gericht, die Anklage lautet auf fahrlässige Tötung, bis zu fünf Jahre Haft sieht das Gesetz dafür vor.

Der Staatsanwalt Jürgen Branz berichtet in seiner Anklage genau von dem Geschehen bis um 6.47 Uhr, als die beiden Züge aufeinandergeprallt waren. Um 5.11 Uhr startete P. auf seinem Smartphone mit dem Online-Computerspiel "Dungeon Hunter 5". Der Spieler muss sich dort in einer Fantasy-Welt durchsetzen. Bis 6.40 Uhr spielte er aktiv, während er im Bahnkreuzungsplan nachschaute und beim Lesen um eine Zeile verrutschte. Um 6.43 Uhr gab er dem Zug in Bad Aibling mit dem "Sondersignal Zs1" freie Fahrt Richtung Kolbermoor. Dass der Zug aus der Gegenrichtung ebenfalls kam, sei ihm "in diesem Zeitpunkt nicht mehr bewusst" gewesen. Seinen Fehler erkannte er um 6.46 Uhr und setzte einen Notruf ab, danach einen zweiten. Diese kamen aber nicht an, weil er laut Anklage "auf dem Tischfunkgerät jeweils die falsche Taste drückte".

Es ist still im Saal, als der Staatsanwalt die Namen und Geburtsdaten der zwölf Getöteten vorliest, alles Männer, die Bahnverbindung ist eine Pendlerstrecke. In fast grausam wirkender Genauigkeit folgen die 89 Verletzten samt der Verletzungen: offene Unterschenkelfraktur, Beckenbruch, Schleudertrauma.

Das Wort hat darauf Michael P. Er habe "schwere Schuld" auf sich geladen, sagt er. "Ich weiß, dass ich das nicht mehr rückgängig machen kann." Er sei "mit den Gedanken bei den Angehörigen" und hoffe, "dass sie das alles aufarbeiten können". Es ist eine kurze Erklärung. Das Wort "Entschuldigung" taucht nicht auf, wie der Angehörigen-Anwalt Friedrich Schweikert in einer Sitzungspause anmerkt. "Ich habe es nicht gehört, die Betroffenen auch nicht."

P.s Verteidigerin Ulrike Thole legt in seinem Namen ein Geständnis ab. Die Dienstverfehlungen räumt er ein, ebenso das Smartphone-Spielen. Die Benutzung dieser elektronischen Medien während der Arbeit ist laut einer Dienstvorschrift der Bahn ausdrücklich untersagt.

Es war ein Fehler während der Arbeit, ein verbotenes Verhalten - mit desaströsen Folgen. In diesem Spannungsfeld steht der Prozess. "Der Mann ist gestraft genug", sagt ein Zuschauer, der in derselben Gemeinde wohnt wie Michael P., einem 3000-Einwohner-Ort in der Nähe des Chiemsees. In der Pause äußert sich ein 23-Jähriger, der an jenem Faschingsdienstag vorne im Zug saß und schwer verletzt wurde: "Ich kann ihm nicht richtig böse sein. Ich will nur, dass ich durch den Prozess endlich mit der Sache klarkommen kann." Viele der Verletzten leiden bis heute an den psychischen Folgen des Geschehens.

Zu den Tatvorwürfen und Umständen des Zusammenpralls äußert sich P. nicht, dafür zu seiner Person. In Rosenheim wurde er geboren, wuchs in der Chiemsee-Region auf. Nach der Schule wurde er ab 1994 von der Deutschen Bahn zum Fahrdienstleiter ausgebildet und danach in Oberaudorf, Raubling oder Bad Aibling eingesetzt. Er ist verheiratet, die Frau hat einen Sohn in die Ehe mitgebracht.

P. sitzt seit April in U-Haft. Nach dem Unglück war immer wieder über technisches Versagen und eine mögliche Mitschuld der Deutschen Bahn diskutiert worden. Die Ermittler haben dazu aber nichts entdecken können. Dennoch wird in dem Prozess darauf eingegangen, ob das Unglück durch weitere technische Sicherheitsmöglichkeiten hätte verhindert werden können. Für die Beweisaufnahme sind sechs Verhandlungstage angesetzt, das Urteil wird Anfang Dezember erwartet.

(RP)
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