Eurovision Song Contest Die neue Lena heißt Jamie-Lee

Köln · Mit Jamie-Lee Kriewitz fährt wieder eine junge Sängerin für Deutschland zum Eurovision Song Contest. Wie ihr Vorbild Lena will die erst 17-Jährige mit Authentizität punkten. In ihrem Fall heißt das: knallbunte Kleider und Stofftiere im Haar.

Kaum hat Jamie-Lee Kriewitz den deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest gewonnen, da wird sie auch schon als neue Lena gehandelt. Natürlich drängt sich der Vergleich auf: Lena war 18, als sie 2010 in Oslo den ESC für sich entscheiden konnte. Nun soll es Kriewitz richten, wieder findet das Finale in Skandinavien statt, wenn auch in Stockholm, und die Sängerin wird 18 sein, wenn sie ihr Siegerlied vor internationalem Publikum vorträgt. "Der Lena-Vergleich nervt mich nicht", sagte Kriewitz nach ihrem Triumph, "denn sie hatte für mich eine Vorbild-Funktion, weil sie immer sie selbst geblieben ist."

Auch die 17-Jährige aus Bennigsen in Niedersachsen will sich durch den Rummel um ihre Person auf keinen Fall verbiegen lassen. Sie hat ein Faible für die asiatische Pop-Kultur, inszeniert sich auf der Bühne gerne als Manga- oder Manhwa-Mädchen, also als eine Figur aus japanischen oder südkoreanischen Comics, die zur gnadenlosen Verniedlichung neigen. Entsprechend trägt Kriewitz gerne quietschbunte Kleider, skurrilen Kopfschmuck und ins Haar geflochtene Stofftiere. Dazu hört sie gerne sogenannten K-Pop, Musik aus Südkorea. "Ich werde meinem Style treu bleiben", verspricht sie mit Hinblick auf die große Finalshow am 14. Mai. An Selbstbewusstsein zumindest mangelt es ihr nicht. "Mein Lied könnte etwas Erfrischendes in den Wettbewerb bringen", sagt sie und hofft darauf, dass so viele europäische Manga-Fans wie möglich für sie anrufen.

Die Rechnung, sich auf ihre breite Anhängerschaft hierzulande zu verlassen, ist zumindest im Vorentscheid aufgegangen. Unterstützt von Smudo und Michi Beck von den Fantastischen Vier hatte sie die Castingshow "The Voice of Germany" gewonnen. Ihre Fans sind damit nicht nur zahlreich, sondern auch geübt im Telefon-Voting. Schon Andreas Kümmert, ebenfalls siegreich aus der Castingshow hervorgegangen, hatte sich im vergangenen Jahr auf seine Fan-Basis verlassen können - um sie danach mit seiner Absage zu düpieren. Kriewitz hat aber mehr zu bieten als nur telefonaffine Anhänger, nämlich einen ordentlichen Song und eine kräftige Stimme. Die führt sie auf ihre Zeit im Gospelchor zurück. Zum Siegertitel "Ghost" steuerte sie immerhin Ideen zu Atmosphäre, Beat und Inhalt bei. Ihr Ziel sei es, sagt sie, irgendwann eigene Musik zu machen.

Nur einen Tag nach ihrem Sieg bei "The Voice" sei das Angebot gekommen, beim Vorentscheid mitzumachen. Kriewitz überlegte trotz Angst und Respekt vor dem Wettbewerb nicht lange. Zu groß sei die Ehre, dabei sein zu dürfen. Wenn der künstlerische Erfolg zunächst auch zu Lasten der Schule geht. Ihr Abitur hat die junge Sängerin erst einmal verschoben, mit dem Einverständnis ihrer Eltern, wie sie sagt. Die Fehlzeiten wegen ihres Engagements bei "The Voice" hätten sich zu sehr angehäuft, sagt sie. "Ich möchte ein gutes Abi machen, und das geht nicht nebenbei." Aufgeschoben sei in diesem Fall keineswegs aufgehoben. Kriewitz will an der Eugen Reintjes Schule in Hameln ihr Fachabitur im Fach Gestaltung machen. Schulleiter Johannes Stolle bleibt entspannt. "Jamie-Lee Kriewitz ist sehr ehrgeizig, wie man ja auch im musikalischen Bereich sieht. Sie wird das Ziel Schule nicht aus den Augen verlieren."

Erst einmal will die junge Musikerin ihre ganze Energie in den ESC stecken. "Ich werde hart arbeiten und viel üben", verspricht sie. ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber hört solche Töne gerne. Er sei sehr zufrieden mit der Wahl, verkündete er nach der Abstimmung. Rund 1,9 Millionen Zuschauerstimmen wurden insgesamt abgegeben, rund 400.000 mehr als im vergangenen Jahr. Schreiber: "Das ist ein gutes Zeichen, dass sich so viele Menschen beteiligt haben."

Ob das beim Finale in Stockholm auch so gut läuft, wird sich zeigen. Ihrem Song "Ghost" fehlt es an Eingängigkeit, er besitzt kein Ohrwurmpotential und könnte im ESC-Bombast untergehen. Möglicherweise wäre das Friedenslied von Alex Diehl in diesen unruhigen Zeiten auf der europäischen Bühne die bessere Wahl gewesen, weil es in seiner Schlichtheit aus dem Rahmen fällt - so wie Nicole einst mit "Ein bisschen Frieden". Nun müssen es die Manga-Fans richten.

Noch gilt für Kriewitz der Jugendschutz. So musste sie am Abend des Vorentscheids um 23 Uhr von der Bühne. Auch der Termin im gestrigen Frühstücksfernsehen wurde abgesagt. Zwischen den Auftritten müssten mindestens zwölf Stunden liegen - die ARD nimmt den Jugendschutz ernst. Dabei klingt die Gewinnerin des Vorentscheids schon sehr erwachsen. An den Verzicht von Vorentscheid-Sieger Kümmert im vergangenen Jahr erinnert, sagte Kriewitz, sie hätte es als unfair den Mitwirkenden und den Zuschauern gegenüber empfunden, die Wahl nicht anzunehmen. Vielleicht ist sie einfach ein Siegertyp.

(RP)
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