Reinheit, Unschuld, Macht Die heilige Farbe Weiß

Düsseldorf · Die liturgische Farbe der Osterfeiertage ist Weiß. Das steht für Reinheit, Unschuld, aber auch Macht. Die Lichtfarbe hat die Kunst vor Herausforderungen gestellt – etwa darüber nachzudenken, was Farbe überhaupt ist.

 Papst Franziskus erteilt auf dem Petersplatz den Segen.

Papst Franziskus erteilt auf dem Petersplatz den Segen.

Foto: dpa, drn sh

Die liturgische Farbe der Osterfeiertage ist Weiß. Das steht für Reinheit, Unschuld, aber auch Macht. Die Lichtfarbe hat die Kunst vor Herausforderungen gestellt — etwa darüber nachzudenken, was Farbe überhaupt ist.

Weiß ist vollkommen. Das reine Licht. Eine Farbe, die alle Spektralfarben in sich vereint und darum auch "unbunt" genannt wird. Genau wie Schwarz, die Abwesenheit allen Lichts, ihr mächtiges, finsteres Gegenüber.

Die Lichtfarbe Weiß ist majestätisch, strahlend, überirdisch und steht für das Höchste, für Heiligkeit, Kostbarkeit, Macht. Genauso für Unschuld, Jungfräulichkeit, Hochzeit, aber auch für den Tod. Bis ins 17. Jahrhundert war hierzulande Weiß eine Farbe der Trauer. Gerippe, Gespenster, spukende Adelsdamen — die weißen Frauen — sind genauso farblos wie der kalte Schnee, in dem der Mensch ohne Schutz sterben muss. Und auch Moby Dick, Melvilles gefürchteter Pottwal, war ein weißer Riese.

Die Farbe des Papstes und der Könige

Weiß ist unbefleckt. Weiß ist absolut. Weiß ist mächtig. Darum ist Weiß auch die Farbe des Papstes, der Könige, des Sitzes des US-amerikanischen Präsidenten. Auch viele Insignien der Macht sind weiß. Nur Könige konnten sich etwa den teuren Pelz des Hermelin leisten oder Marmor, Elfenbein, Seide, Byssus, bleichbaren Stoff aus den Sekretfäden von Muscheln - und natürlich Porzellan, das weiße Gold.

Bis heute ist es eine Lust, ein schimmerndes Gefäß ins Licht zu halten oder von einem glasierten Teller zu speisen. Porzellan ist ein Gemisch aus dem tonartigen Kaolin, aus feinem Quarz und Feldspat, und wo Manufakturen diese Rohstoffe auftun, ist entscheidend für ihren Erfolg. Doch dann hängt es von der Brenntechnik ab, wie strahlend weiß die Porzellane werden. Denn im Ausgangsmaterial ist Eisenoxid enthalten. Gibt das beim Brennen Sauerstoff ab, bleibt eine Eisen-Verbindung übrig, die dem Weiß des Materials einen bläulichen Stich gibt.

"Das ist dann wie bei Gemälden von Winterlandschaften", sagt Stephan Hofmann, Produktionschef der Porzellan-Manufaktur Fürstenberg, die ihren Sitz in einem Schloss nahe Höxter hat. "Dieses Weiß wirkt besonders hell und rein." Allerdings dürfen es die Hersteller mit der Helligkeit nicht übertreiben. "Ab einem gewissen Grad wirkt blendendes Weiß auf dem Tisch nur künstlich", sagt Hofmann.

Weiß ist auch die Lichtfarbe, die Nuancen schafft

Auch weiße Stoffe waren bis zur Ausbreitung der Waschmaschine ein Zeichen für gehobenen Wohlstand. In gediegenen Bürgerhäusern wurden "Weißbüglerinnen" angestellt, die sich auf das Plätten feinen Tuches spezialisiert hatten. Weiße Decken bei Tisch, weiße Wäsche auf den Betten und weiße Kleidung am Körper signalisierten, dass in diesen Häusern keine schmutzige Arbeit verrichtet werden musste. Zumindest nicht von jenen, die an den weißen Tischen speisten.

Doch gerade die Reinheit und Makellosigkeit des Weißen hat auch etwas Leeres, in die Unendlichkeit Driftendes, das den Menschen überfordert wie der Blick in die Sonne. Weiß macht orientierungslos und ist schwer auszuhalten, zu hell, zu konturlos. Ski-Fahrer kennen die Effekte und rauschen nur mit getönter Brille durch das ewige Weiß.

Weiß ist auch die Lichtfarbe, die Nuancen schafft, die bunte Farben aufhellt, aus einem aggressiven Rot einen Lachston zaubert, ein Nachtblau in ein Milchblau verwandelt. Als Lichtbringer steht das unbunte Weiß über den Farben, regiert die Skalen als Beimischung.

So werden Emotionen eher den bunten Farben zugeordnet, die Farbe des Lichts dagegen steht für den Geist, die Erleuchtung — und Fragen der Unendlichkeit. So ist Weiß für die Kunst immer eine Herausforderung gewesen.

Da ist zunächst die weiße Leinwand — oder das weiße Blatt Papier in der Literatur: Beides bedrängt die Kreativen. Denn Weiß ist der Zustand des "Noch nicht", des Unbeschriebenen, Unbemalten. Diese Unberührtheit kann nervös machen, denn der Künstler muss mit seinen Linien, Farben, Gedanken die Makellosigkeit durchbrechen und den Schaffensprozess beginnen. Weiß ist der Nullpunkt, die absolute Neutralität, die den Mut zu gestalten, verschlingen kann.

Im Weiß löst sich die Kunst auf — oder wird total

Doch es gibt Künstler, die gerade das Einfache, radikal Reduzierte an der Farbe schätzen, weil es neue Erkenntnisse verspricht. Etwa darüber, was Kunst und was Farbe eigentlich sind.

Kasimir Malewitsch (1878-1935) etwa, der russische Avantgardist, Begründer des Suprematismus. Malewitsch war ein Revolutionär, der den Bruch mit den Bilderwelten der Väter suchte. Statt weiter die Wirklichkeit abzubilden und die Technik darin immer weiter zu verfeinern, setzte er ein schwarzes Quadrat auf weißen Grund. So befreite er die Kunst mit einem Schlag vom Ballast des Gegenständlichen und schuf eine Ikone der Moderne. Der Betrachter sollte den Verlust empfinden. Er sollte darüber seufzen, dass nun alle schöne Kunst dahin sei. Und genau mit diesem Seufzer sollte ein Gefühl, eine Empfindung über die Abbildung siegen.

Für Malewitsch war "Das schwarze Quadrat", 1915 in Sankt Petersburg erstmals ausgestellt, die "Erfahrung der reinen Gegenstandslosigkeit in der weißen Leere des befreiten Nichts". Und so lag der noch radikalere Schritt nahe: 1918 malte er "Weißes Quadrat" auf weißem Grund, führte die Malerei endgültig an einen scheinbaren Nullpunkt und vermerkte dazu: "Ich habe den blauen Schirm farbiger Beschränktheit durchstoßen und bin ins Weiße gelangt." Im Weiß löst sich die Kunst auf — oder wird total. Das ist eine Entscheidung des Betrachters.

Meditationen über das Licht

"Aber natürlich sind weiße Bilder nicht leer", sagt die Kunsthistorikerin Barbara Oettl, die ein Buch über die Kulturgeschichte der Farbe Weiß geschrieben hat. Für Oettl ist monochrom weiße Kunst vergleichbar mit einer Pause in der Musik, die ja auch nicht einfach leere Zeit ist, sondern eine Sequenz von der nächsten trennt — und voller Spannung sein kann.

So sind auch die weißen Werke des Amerikaners Robert Ryman nicht leer oder tot, sondern Meditationen über das Licht und die Materialität von Farbe. Denn die wird erst wirklich sichtbar, wenn Weiß auf unterschiedliche Trägermaterialien trifft. Wenn dabei keine Farbigkeit ablenkt, nur das Spiel von Licht und Schatten einer Farbe Plastizität verschafft.

So steht Weiß als das Ineinanderfallen aller Farben in der totalen Reflexion des Lichts nicht für das Ende der Kunst, sondern für höchste Konzentration. Außerdem werfen weiße Bilder hübsche Fragen auf: Was ist ein Bild? Wo beginnt es, wo endet es, braucht es den Rahmen? Und was ist Farbe, wenn sie nicht bunt ist — Licht, Materie, Metapher?

In solchen Überlegungen erweist sich Weiß als ein lichtes Nichts, das die Gedanken beflügelt. So kann die Wirkung dieser Farbe auch auf andere Künste heiter sein. Der polnische Regisseur Krzysztof Kieslowski etwa hat in seiner berühmten "Drei Farben"-Trilogie den unbeschwertesten Film der Farbe Weiß gewidmet. Ein Schelmenstück über einen Friseur, der den eigenen Tod inszeniert, um sich aus der Abhängigkeit von seiner Frau zu befreien. Tod und Licht, auch bei Kieslowski begegnen sie einander wieder. Und da offenbart sich das Geheimnis dieser Farbe: Sie ist nichts ohne den Kontrast. Das ist ihre Lehre für das Leben.

(dok)
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