Ermittlungen nach Zugunglück Die Hinweise führen ins Stellwerk Bad Aibling

Darmstadt · Edmund Mühlhans ist Experte für Bahnsysteme und Bahntechnik und war bis zu seiner Pensionierung an der TU Darmstadt Professor für Eisenbahnwesen. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt er, wie Zugstrecken in Deutschland technisch gesichert werden und was das Unglück in Bad Aibling verursacht haben könnte.

 Ein Polizei-Beamter vor dem Stellwerk.

Ein Polizei-Beamter vor dem Stellwerk.

Foto: dpa, ule sja fpt

Am Tag nach dem schweren Zugunglück mit zehn Toten versuchen die Ermittler, die Unglücksursache auszumachen. Die Behörden halten sich mit Einschätzungen bewusst zurück und verweisen auf laufende Ermittlungen. Unter anderem sollen die Aufzeichnungen der Black Boxes der Züge ausgewertet werden.

Doch verdichten sich im Lauf des Tages Hinweise auf menschliches Versagen. So berichten unter anderem "sueddeutsche.de" und die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf Angaben aus Ermittlerkreisen, dass der am Dienstag diensthabende Fahrdienstleiter im Stellwerk Bad Aibling das Unglück durch ein Fehlverhalten verursacht haben könnte.

"Die Untersuchungen gehen in Richtung des Fahrdienstleiters", sagte ein mit den Ermittlungen Vertrauter am Mittwoch der Nachrichtenagentur Reuters. Die eingleisige Strecke sei für beide Züge freigegeben worden, obwohl die Systeme in solchen Fällen immer warnten. Sueddeutsche.de zufolge durchsuchten Polizisten am Mittwoch die Bahnhofsräume am Bahnof Bad Aibling, in denen sich üblicherweise der Fahrdienstleiter der Bahn aufhält.

Die Hinweise des Bahnexperten Edmund Mühlhans gehen in eine ähnliche Richtung. Wie er im Gespräch mit unserer Redaktion erläuterte, führen auch in seinen Augen Spuren ins Stellwerk in Bad Aibling.

Herr Mühlhans, bei dem Zugunglück in Bad Aibling befanden sich auf einer einspurigen Strecke in beiden Fahrtrichtungen Züge. Wie konnte das passieren?

Edmund Mühlhans Die Fahrterlaubnis erhalten die Züge vom Fahrdienstleiter in der Regel durch Hauptsignale. Überfährt ein Lokführer ein Halt zeigendes Hauptsignal, wird er über das Zugbeeinflussungssystem mittels Magnetsensoren zwangsgebremst. Dass dieses System defekt war, ist sehr unwahrscheinlich.

Könnte sich das Unglück durch eine Signalstörung ereignet haben?

Mühlhans Für den Fall, dass ein Signal gestört ist - beispielsweise ein Grünlicht nicht funktioniert -, gibt es ein Ersatzsignal. Das lässt sich auch auf Fahrt stellen, wenn ein Gegenzug auf der Strecke ist. Deshalb ist die Bedienung des Ersatzsignals sehr sicherheitsrelevant. Das Drücken der entsprechenden Taste wird mit einem Zählwerk erfasst. Außerdem muss der Fahrdienstleiter im Stellwerk in einem Buch eintragen, wann er welche Hilfsbedienung vorgenommen hat. Das müsste also prüfbar sein.

Sollte ein Ersatzsignal in gefährdender Weise gestellt worden sein, dann müsste dies im Stellwerk Bad Aibling passiert sein. Denn der Zug aus Rosenheim war bereits auf der Strecke, als der andere Zug den Bahnhof Bad Aibling verlassen hat.

Wenn das Ersatzsignal im Stellwerk fälschlicherweise auf Fahrt gestellt wird, greift also auch die Sicherung durch die Magnetsensoren nicht mehr?

Mühlhans Der Lokführer muss bei Fahrt auf Ersatzsignal sein Zwangssystem ausschalten. Sonst könnte er ja bei einem fehlerhaft auf Halt stehendem Signal nicht weiterfahren. Theoretisch besteht auch die Möglichkeit, dass ein Lokführer das Zwangssystem eigenmächtig ausschaltet, um ein Haltesignal zu überfahren und dann bewusst auf eine Strecke mit Gegenverkehr fährt. Zumindest würde die Technik das zulassen.

Für wie sicher halten Sie die Technik der Stellwerke der Bahn?

Mühlhans Die elektrischen Stellwerke sind sehr sicher. Bei den neuen elektronischen Stellwerken, die über Computer gesteuert werden, besteht die Gefahr, dass einer ausfällt. Daher gibt es dort mehrere Computer als Absicherung. Mir ist bisher kein Unfall durch den Ausfall eines elektronischen Stellwerks bekannt.

Am sichersten sind die Relaisstellwerke wie eben in Bad Aiblingen. Dort werden die Signalstellungen durch elektrische Schaltkontakte hergestellt. Diese Stellwerke haben so gut wie keine Fehlerrate und nur eine sehr geringe technische Ausfallrate.

(rent)
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