Religionsfreiheit Warum ich als Atheist die Muslime verteidige

Meinung | Düsseldorf · Mit Religion hat unser Autor seit Ewigkeiten nichts mehr am Hut. Trotzdem stellt er sich immer wieder gegen Kritik am Islam. Ausschließlich selbstlos ist das nicht.

Die Merkez-Moschee in Duisburg-Marxloh

Die Merkez-Moschee in Duisburg-Marxloh

Foto: Christoph Sebastian

Es war mir noch kein Barthaar gewachsen, da hatte ich bereits entschieden, dass es Gott nicht gibt. Seitdem betrete ich Kirchen nur noch, wenn jemand beerdigt wird oder sie im Reiseführer stehen. Ich bin nicht in der Lage, mein Leben an einem Wesen auszurichten, das ich nicht sehe.

In den vergangenen Monaten habe ich mich immer wieder dabei erwischt, wie ich den Islam gegen überzogene Kritik verteidigte. Gegen den Vorwurf, dass der Islam Terrorismus fördere. Dass das Kopftuch automatisch Unterdrückung bedeutet. Dass Islam und Demokratie sich widersprechen. Dass diese Religion nicht in unsere Zeit und schon gar nicht in unser Abendland passt.

Ich würde auch die Kirche des Spaghettimonsters verteidigen

Dabei geht es mir gar nicht um den Islam im Besonderen. Wenn die Menschen auf die Idee kämen, gegen die Kirche des fliegenden Spaghettimonsters zu hetzen, würde ich mich dem ebenso entgegenstellen. Wenn morgen alle Muslime dem Islam entsagen würden, wäre die Welt kein bisschen schlechter. Jedenfalls wäre es traurig, wenn die Menschen sich nur anständig verhielten, weil es gottgefällig ist.

Doch nur weil ich selbst nicht an Gott glaube, habe ich nicht das Recht dazu, anderen meinen Atheismus aufzuzwingen. Die Verfassung garantiert die freie Ausübung der Religion und schützt damit Gläubige so wie sie zum Beispiel auch mich als Journalisten schützt. Mein Nicht-Glauben soll sich genauso wenig im Grundgesetz niederschlagen wie der Glauben anderer. Jeder soll nach seiner Überzeugung leben, solange dem nicht die Freiheit anderer entgegensteht.

Diese Grenze zu ziehen, ist bisweilen schwierig, aber das allein kann kein Grund sein, die Religionsfreiheit von Muslimen einzuschränken. Es kommt vor, dass Menschen die Freiheit anderer nicht gefällt, ohne dass dies ein Verbot begründen sollte. Ich habe als deutscher Staatsbürger nicht das Recht darauf, dass mir alles gefallen muss — schon gar nicht, wenn ich mich schon an einem Kopftuch störe. Es soll Männer geben, die fühlen sich durchs Kopftuch beleidigt, weil es ihnen unterstelle, ein Sexmonster zu sein, dessen Triebe beim Anblick des weiblichen Haupthaars geweckt werden. Aber erstens unterstellt auch jedes Türschloss, dass wir alle Diebe sind, und zweitens ist eine fünfsekündige Zumutung durch den Anblick eines Kopftuchs nicht groß genug, um deshalb die Religionsfreiheit einzuschränken und das Kopftuch zu verbieten. Ein Atheist könnte auch den Anblick einer Kirche als Zumutung empfinden. Das darf aber niemals ausreichen, um Kirchen zu verbieten. Die ganze Welt ist eine Zumutung. 24 Stunden am Tag. Wer das nicht akzeptieren will, zieht am besten in ein verlassenes Bergwerk und streicht die Wände alpinaweiß.

Kirchen haben doch auch Türme

Ich finde es wichtig, sich der Kritik früh in den Weg zu stellen. Dort nämlich, wo Menschen dem Islam weniger Rechte einräumen wollen als anderen Religionen. Sie sollen doch bitte auch eine Moschee bauen dürfen, mit Türmen. Kirchen haben doch auch Türme. Ich habe den Eindruck, dass sich viele Islamkritiker nicht an den Auswüchsen des Islam stören, sondern an seiner Existenz. Ihnen reicht kein Burkaverbot, ihnen reicht auch kein Kopftuchverbot. Der niederländische Politiker Geert Wilders hat bereits ein Verbot des Koran gefordert. Das ist inakzeptabel, weil es eine ganze Religion unter Generalverdacht stellt.

Es gibt Textstellen im Koran, die unvereinbar sind mit unserem Grundgesetz. Aber auch die Bibel ist nicht ohne. So heißt es: "Wenn jemand bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und sollen beide des Todes sterben" (3.Mose 20,13). Nicht gerade ein Statement, das zur Akzeptanz von Homosexualität aufruft. Oder: "So sollt ihr alle Bewohner vertreiben vor euch her und alle ihre Götzenbilder und alle ihre gegossenen Bilder zerstören und alle ihre Opferhöhlen vertilgen und sollt das Land einnehmen und darin wohnen" (4. Mose 33).

Entscheidend ist, aus religiösen Inhalten keine Ansprüche an Staat und Gesellschaft abzuleiten. Solange kein Moslem auf die Idee kommt, seinen Glauben anderen aufzuzwingen, solange er akzeptiert, dass der Islam in der Gesetzgebung nichts verloren hat, soll er doch zehnmal täglich für das Reich Gottes beten. Ich sehe nicht, dass sich in Deutschland gerade massenhaft Muslime organisieren und fordern, das Grundgesetz durch die Scharia zu ersetzen.

Mein Einsatz ist allerdings nicht völlig selbstlos. Wer Religionsfreiheit verteidigt, verteidigt die Freiheit als solche. Jene Menschen, die Moslems pauschal kritisieren, jene Menschen neigen auch dazu, gegen andere Minderheiten zu hetzen. Juden, Homosexuelle, Behinderte, Feministinnen, Intellektuelle. Wer nur die Norm zulässt, die er selbst erfüllt, der hat Demokratie nicht verstanden.

Wenn ich mich heute für die Freiheit von Muslimen einsetze, dann setze ich mich heute auch schon für die Freiheit ein, die morgen gefährdet sein könnte: meine eigene.

(seda)
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