Von Berlin ins Rheinland Unsere Redakteurin schwitzt im Pannen-Zug

Berlin (RPO). Unsere Redakteurin Franziska Bluhm saß an diesem Sonntag in einem ICE von Berlin in Richtung Rheinland. Meldungen wie "Klimaanlagen in Bahnen ausgefallen", "50 Grad Celsius in den Abteilen", "Züge fallen aus" kann sie alle bestätigen, weil am eigenen Leib erfahren. Und das alles bei nur einer Fahrt. Lesen Sie hier ihren Lagebericht.

 Unsere Redakteurin Franziska Bluhm fährt in einem viel zu heißen Zug durch die Lande.

Unsere Redakteurin Franziska Bluhm fährt in einem viel zu heißen Zug durch die Lande.

Foto: Bluhm/RPO

Berlin Hauptbahnhof. Es ist heiß. Im Handy lese ich die Meldung vom Vortag. Schüler kollabierten wegen der Hitze in den Zügen, in ihrer Verzweiflung versuchte die Mutter eines siebenjährigen Jungen die Scheibe mit dem Notfallhammer zu zerschlagen. Alles für einen Luftzug in einem Wagon der Deutschen Bahn bei 50 Grad Celsius.

 In einem ICE kollabierte Schüler wurden am Samstag in Bielefeld in ein Krankenhaus gebracht.

In einem ICE kollabierte Schüler wurden am Samstag in Bielefeld in ein Krankenhaus gebracht.

Foto: ddp, ddp

Wenig später sitze ich ebenfalls in einem Zug ins Rheinland. Erst scheint es kühl, doch nach wenigen Minuten kurz hinter Berlin-Spandau steht fest: Auch in Wagen 24 im ICE 848 versagt gerade die Klimaanlage.

Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn. Die Schaffner laufen mittlerweile aufgeregt durch den Gang. "Ist es im Wagen 23 auch so warm?", fragt einer der Mitreisenden. "Versuchen Sie's", antwortet der Zugbegleiter, da würde die Klimaanlage zumindest noch teilweise funktionieren.

Einzelne versuchen sich in die erste Klasse abzusetzen, da ist es bisher noch angenehm kühl. Die Zugbegleiterin will sich darauf nicht einlassen. Sie könne den Sitzplatz dort nicht garantieren, schließlich habe die Bahn lediglich eine Beförderungspflicht.

Nach knapp einer Stunde Zugfahrt die erste offizielle Durchsage. "Wegen der hohen Außentemperaturen sind die Klimaanlagen in fast allen Wagen ausgefallen." Sich umsetzen mache deshalb keinen Sinn, dafür gebe es im Bordbistro alkoholfreie Erfrischungsgetränke. Kostenlos. Dazu das übliche Entschuldigungsblabla.

Ich sitze mittlerweile im offenbar letzten Wagen mit funktionierender Klimaanlage. Die Tickets wurden bisher nicht kontrolliert. Der Wagen füllt sich so langsam. Mittlerweile ist also auch die erste Klasse von den Ausfällen betroffen. "Das war meine letzte Bahnfahrt", sagt eine der Neuankömmlinge. "Wollen Sie Wasser oder Orangensaft?, fragt die freundliche Zugbegleiterin.

Die nächste Durchsage: Der Zug wurde umgeleitet über Stendal wegen einer Sperrung auf der Schnellfahrtstrecke. Der Zug wird Wolfsburg mit einer Verspätung von 15 Minuten erreichen.

Es dauert weitere fünf Minuten, bis uns der Zugchef über unser Schicksal informiert. Der ICE 848 werde nur bis Hannover fahren, dort werde er "geräumt". "Im Interesse Ihrer Gesundheit", fügt er hinzu. Es werde einen Ersatzzug geben - allerdings nur mit der halben Platzkapazität. "Es wird also eng werden."

Update 1:

16.17 Uhr: Das Versprechen "es wird eng werden" des Zugchefs wird sofort erfüllt. Bereits beim Einfahren des Zuges ist der Anschlusszug gut gefüllt, die Hannoveraner hatten ausnahmsweise mal einen Standortvorteil. Als ich mir einen Platz suchen will, ist bereits alles voll. Selbst auf den Gängen gibt es keinen Platz mehr. Ich steige aus dem gut klimatisierten Zug (immerhin!) wieder aus.

Am Gleis 13 soll der IC 1915 gleich einfahren. Er fährt über Düsseldorf nach Tübingen, hat allerdings bereits eine Verspätung von zwei Stunden. Und wer weiß warum. Obwohl an der Anzeige am Gleis durchläuft, dass besagter Zug mittlerweile erst in unbestimmter Zeit eintreffen wird, gebe ich die Hoffnung nicht auf. Ich werde belohnt, der Zug fährt ein. Entgegen kommen mir verschwitzte Gesichter. "Ist es sehr warm?", frage ich. Die Köpfe zu den Gesichtern nicken.

Im Gang zur ersten Klasse gibt es Fenster, die man öffnen kann. Und freie Stehplätze. Immerhin. Verbringe ich die kommenden Stunden eben im Stehen - aber ganz old-School bei Zugluft.

Update 2:

16.54 Uhr: Kurz vor Herford. Seit fünf Uhr ist der Mann im Bordbistro schon auf den Beinen. Konnte ja keiner wissen, dass ein Triebfahrzeugschaden eines anderen Zuges alles durcheinander bringt. Mittlerweile verschenkt er alles, was er noch hat. Eis gibt es schon lange nicht mehr, Cola gibt es nur noch im Becher. Dafür riecht es dort jetzt nach Hundekotze. Einem Vierbeiner ist die Hitze auf den Magen geschlagen.

Einen Wagen weiter schwitzen auch die Gäste in der ersten Klasse. Mittlerweile habe ich festgestellt, dass sich nur in meinen Wagen die Fenster öffnen lassen. Eine Sicherheitsmaßnahme?

Update 3:

17.11 Uhr: Außerplanmäßiger Halt kurz vor Gütersloh. Kaum fällt die Zugluft weg, rinnt der Schweiß die Wirbelsäule wieder hinunter. Neben mir steht ein kleiner Junge mit seinem Papa. Sie wollen in Gütersloh aussteigen. Der Papa solidarisierend zum Zugchef: "Was für ein Tag heute, oder?" Der Zugchef winkt wortlos ab.

Update 4:

17.32 Uhr: Kurz vor Hamm fängt ein kleiner Junge im Kinderwagen an zu singen: "Hier fliegen gleich die Löcher aus dem Käse." Hoffentlich ist er kein Namensvetter von Kraken-Paul. Wobei: Im Bistro gibt es eh nur noch O-Saft und Butterkuchen.

Update 5:

17.54 Uhr: Der schlecht informierte Bahnsprecher Jürgen Kornmann versucht das Chaos klein zu reden, lese ich in den Nachrichten auf meinem Handy. Am Sonntag seien keine weiteren Züge aus dem Verkehr gezogen worden. Komisch, ich saß heute in so einem. Später Zugchefwechsel in Dortmund. "Willkommen im Chaos", begrüßt der Bistro-Mann die Ablösung. Neuester Stand: Alles ist weggeschenkt bis auf ein paar Bier.

Update 6:

18.21 Uhr: Kurz vor Duisburg ist mein Wasser alle. Allerdings sitze ich jetzt. In einem Abteil sind dank der aussteigenden Fahrgäste ein paar Plätze freigeworden. Es ist warm aber nicht heiß. Ohne meine Wasserflasche fühle ich mich nackt und ein bisschen hilflos. Was ist, wenn der Zug gleich liegen bleibt? Das Bistro soll erst in Köln aufgefüllt werden. Und bis dahin ist es noch weit. Hoffentlich geht auf den letzten Metern alles gut.

Update 7 und Schluss:

18.38 Uhr: Der Zug fährt am Düsseldorfer Hauptbahnhof ein. Endlich. Insgesamt hat der Trip nun ein bisschen mehr als fünf Stunden gedauert. Die Zeitungen für die Zugfahrt: ungelesen. Die Wasserflaschen und -kartons (insgesamt drei Liter): ausgetrunken. Ich bin froh, dass nichts weiter passiert ist - außer Schwitzen in überfüllten Zügen.

(csr/pst)
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