Missbrauchsskandal Staatsanwaltschaft durchsucht Kloster Ettal

Berlin/Ettal (RPO). Die Staatsanwaltschaft München ermittelt seit Dienstagnachmittag vor Ort in der oberbayerischen Benediktinerabtei Ettal. Das bestätigte eine Sprecherin des Klosters der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Derzeit seien weder Art noch Umfang der Ermittlungen bekannt.

Im Missbrauchsskandal an katholischen Bildungseinrichtungen könnte es weit mehr Opfer geben als bisher angenommen. Die Vorsitzende des im Jahr 2004 gegründeten Vereins ehemaliger Heimkinder, Monika Tschapek-Güntner, sagte der "Berliner Zeitung": "Wir können die Zahl der Opfer gar nicht überschauen. Durch den Skandal um die Jesuitenschulen melden sich täglich auch bei uns weitere Betroffene."

Tschapek-Güntner erklärte, dass rund 70 Prozent der 450 Vereinsmitglieder sexuellen Missbrauch in einem Erziehungsheim erlitten hätten, meist in den 50er bis 70er Jahren. "Zirka 80 Prozent unserer Mitglieder waren in katholischen Heimen." Demnach handelt es sich um mindestens 250 mutmaßliche Opfer katholischer Erzieher, meistens Ordensbrüder, die bisher nirgends erwähnt würden.

Hinzu kommen laut Tschapek-Güntner zahlreiche frühere Heimkinder, die die Hilfsangebote in Anspruch nähmen und ebenfalls von erlittener sexualisierter Gewalt berichteten, aber dem Verein nicht beigetreten seien.

Staatsanwaltschaft im Kloster Ettal

Die Staatsanwaltschaft München ermittelt seit Dienstagnachmittag vor Ort in der oberbayerischen Benediktinerabtei Ettal. Die Atmosphäre sei "ruhig und gelassen", eine Sprecherin des Klosters der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Die Mitglieder des Konvents kooperierten mit der Justiz. Die Staatsanwaltschaft war am Abend für eine Stellungnahme nicht mehr zu erreichen.

Nach bisherigen Erkenntnissen werden vier Benediktinerpatres aus dem Kloster Ettal, von denen einer verstorben ist, verdächtigt, Übergriffe auf Kinder begangen zu haben. Dabei geht es um 20 ehemalige Schüler, wie der am Freitag vorgestellte Zwischenbericht der von der Erzdiözese München-Freising eingesetzten Ombudsleute ergab. Die meisten Vorfälle, darunter auch der gewaltsame Umgang mit Schutzbefohlenen, hätten sich in den 70-er und 80-er Jahren ereignet. Bei einem Fall von 2005 handele es sich dagegen um einen "handfesten sexuellen Missbrauch", hieß es.

Am Nachmittag hatte die Abtei angekündigt, als Reaktion auf die Missbrauchsfälle Präventivmaßnahmen zu entwickeln und sich dabei von externen Fachleuten beraten zu lassen. Dies geschehe unabhängig von der "aktiven Aufklärung der Vorkommnisse", kündigte der Vakanz-Administrator Pater Emmeram Walter in einer Erklärung an.

Der Konvent hatte Walter am Freitag gewählt, nachdem Abt Barnabas Bögle und Prior Maurus Kraß, der auch Schulleiter war, vergangene Woche zurückgetreten waren. Beide hatten die Vorwürfe gegen Mitglieder des Ordens wegen sexuellen Missbrauchs, die 2003 und 2005 bekanntgeworden waren, nicht der Erzdiözese München-Freising gemeldet, wie es die bischöflichen Richtlinien vorsehen.

Der Sonderermittler der Abtei, der Münchner Rechtsanwalt Thomas Pfister, will am Freitag seinen vorläufigen Bericht vorlegen. Ihm seien alle Informationen für eine umfassende Aufklärung der Vorwürfe zur Verfügung gestellt worden, betonte das Kloster.

Juristisch bereits aufgearbeitete Fälle bekanntgeworden

Am Internat der Maristen in Mindelheim wurde ein juristisch bereits aufgearbeiteter Missbrauchsfall bekannt. Wie das Internat auf seiner Homepage mitteilt, musste der langjährige Leiter des Internats im Jahr 2007 nach Anzeigen zweier Schüler seinen Posten räumen und Mindelheim verlassen. Der Mann wurde damals zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung verurteilt, wie die Staatsanwaltschaft Memmingen bestätigte.

Übereinstimmenden Medienberichten zufolge soll auch ein in der Jugendarbeit tätiger Kaplan in München und Fürstenfeldbruck vor einigen Jahren Kinder sexuell missbraucht haben. Der Kaplan wurde demnach bereits 2005 zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Inzwischen soll er in seine indische Heimat zurückgekehrt sein.

Führungswechsel bei den Jesuiten

Die in den vergangenen Wochen vom Missbrauchsskandal erschütterten Jesuiten bekommen im Herbst einen neuen Chef. Pater Stefan Kiechle übernimmt am 1. September das Amt des Provinzials, wie die deutsche Provinz der Jesuiten mitteilte. Er trete die Nachfolge von Pater Stefan Dartmann an, der das Amt seit 2004 innehabe. Der Wechsel an der Spitze der Jesuiten erfolge rein turnusgemäß, versicherte ein Sprecher. Er habe nichts mit dem Missbrauchsskandal zu tun.

(AP/KNA)
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