Das Ende des Wartens Wie das Smartphone uns das Weihnachtsfest stehlen will

Düsseldorf · Weihnachten war nie stressfrei, aber wir hatten Ruhe vor der Welt da draußen. Doch gerade sind wir dabei, auch unsere letzte Offline-Zuflucht zu zerstören. Schuld ist das Smartphone, meint unser Autor.

 Seitdem sich Smartphones durchgesetzt haben, sind die Weihnachtsnächte längst nicht mehr so still.

Seitdem sich Smartphones durchgesetzt haben, sind die Weihnachtsnächte längst nicht mehr so still.

Foto: Zörner

Es muss an einem Samstag angefangen haben. Die Läden schlossen nicht mehr um zwölf. Ich dachte mir nichts dabei. Es gibt Dinge, die verlieren wir und merken es erst Jahre später.

An Weihnachten bin ich nicht aus religiösen Gründen interessiert. Auch die Bedeutung der Geschenke hat nachgelassen, seitdem ich mein eigenes Geld verdiene. Als Kind war mir das egal, aber das Beste ist es, drei Tage von der Welt zur Ruhe zu kommen. Mag sein, dass sie sich weiterdreht, aber ohne mich. Weihnachten ist zwar kein Fest ohne Spannungen, aber es sind nicht die Spannungen im Nahen Osten. Sondern Mutter, die sagt, dass sie den Ring schön findet, während Vater ihr ansieht, dass sie etwas anderes denkt.

Die Weihnachtstage sind die letzten Tage, an denen das möglich ist, vielleicht muss ich schon sagen: war.

Bevor wir alle diese Smartphones und Internetzugänge hatten, bevor wir überhaupt Mobilfunkgeräte besaßen, war das überhaupt kein Problem. Der letzte Schultag bedeutete für mich, dass ich zwei Wochen lang keinen Kontakt zu Freunden haben würde. Heiligabend war der längste Tag des Jahres, weil er vor allem aus Warten bestand. Das Fernsehprogramm langweilte mich, der Reiz des ausgedehnten Spaziergangs hatte sich mir noch nicht erschlossen. Also starrte ich die Wände an und schaute zwischendurch auf die Uhr. Es war aber auch nicht die einzige Zeit im Jahr, zu der wir zur Ruhe kamen. Jeden Samstagmittag wurde unsere Welt für anderthalb Tage sehr klein.

Weihnachten als Contentlieferant

Nachdem der Samstag ein Tag wie jeder andere geworden war, kam das Internet in unser Leben. Die Weihnachtstage veränderte das zunächst kaum. Am 23. Dezember wünschten wir allen per Mail und albernem Anhang frohe Weihnachten, danach brauchten wir drei Tage lang keine neuen Nachrichten zu erwarten. Auch die sozialen Netzwerke richteten erst einmal nur geringen Schaden an. Wir setzten uns ja nicht mit dem Laptop in die Bescherung.

Doch seitdem sich unser Fotoapparat mit dem Internet verbunden hat, seitdem sich also Smartphones durchgesetzt haben, lernen wir jedes Jahr ein bisschen mehr, Weihnachten als weiteren Contentlieferanten für unsere Selbstdarstellungsplattformen zu begreifen. Nicht so schnell wie unseren Strandurlaub, aber wir halten es nicht mehr für ungewöhnlich, die Welt an unserem Weihnachten teilhaben zu lassen und das Weihnachten auf der Welt zu verfolgen und sowieso, was hat mir da jemand per Whatsapp geschickt? Die Wartezeit können wir damit auch prima rumkriegen.

Mir geht es nicht darum, dass Weihnachten ein christliches Fest ist, an dem man gefälligst das goldene Kalb, das Smartphone, weglegen sollte. Wir geben einfach die letzte institutionelle Gelegenheit der Einkehr auf für ein paar Fotos, die sich ohnehin überall gleichen. Wir posten die Fotos vom Fest nicht, weil wir glauben, die anderen mit unserem Braten und mit unserer Tanne überbieten zu können. Wir wollen bloß zeigen: Auch ich verbringe — wie die halbe Welt — ein super Weihnachtsfest! Weihnachten ist die am wenigsten geeignete Gelegenheit für überraschende Fotos, weil nichts weniger überraschend ist als Weihnachten. Deshalb könnte alles in der Familie bleiben.

Vielleicht haben wir längst ein riesengroßes Problem

So aber werden wir Teil der globalen Gemeinschaft und vergessen, dass wir in dem Moment eigentlich Teil einer familiären Gemeinschaft sein sollten. Wir sind nicht für die da, mit denen wir da sind. Wenn wir aber selbst an Weihnachten keinen Wert auf Einkehr legen, werden wir es zu anderen Gelegenheiten — einem stinknormalen Sonntag — auch nicht machen. Dann werden wir verlernen, wie es ist, sich einmal nicht in die Welt zu übertragen.

Vielleicht empfinden das nur die als Verlust, die es noch anders kennen. Vielleicht ist das bloß eine weitere Erscheinungsform der Nostalgie. Vielleicht aber haben wir längst ein riesengroßes Problem. Und vielleicht probieren wir einfach drei Tage aus, ob es nicht doch noch anders geht.

(seda)
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