Erschreckende Wissenslücken Schüler halten Adenauer für DDR-Politiker

Berlin (RPO). Vor 18 Jahren fiel die Mauer zwischen DDR und BRD, doch das Wissen über das ehemals geteilte Land ist erschreckend gering. Bei einer Umfrage offenbarten Berliner Schüler gravierende Lücken: Sie hielten Adenauer und Brandt für hochrangige DDR-Politiker.

Vor 42 Jahren: Bau der Berliner Mauer
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Foto: AP

Die Umwelt war in der DDR sauberer, die Lebenserwartung höher, alle hatten etwa das gleiche Einkommen und Willy Brandt und Konrad Adenauer lenkten als Politiker die Geschicke der Republik. Dieses Bild haben viele Berliner Schüler von der DDR, wie eine Studie des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität (FU) Berlin ergeben hat.

Das Wissen über die DDR und die Geschichte der deutschen Teilung sei gering, sagte der Politikwissenschaftler Klaus Schroeder bei der Vorstellung der Umfrage am 18. Jahrestag des Mauerfalls. Einige Ergebnisse hätten ihn und seine Kollegen "vom Hocker gerissen", berichtete er. Über 40 Prozent der befragten Schüler hätten beispielsweise nicht gewusst, in welchem Jahr die Mauer gebaut wurde.

Schroeder und sein Team befragten rund 2350 Schüler der neunten bis elften Klasse an 22 Schulen in der Hauptstadt. In standardisierten Bögen beantworteten die Jugendlichen unter anderem Fragen zum politischen und gesellschaftlichen System der DDR und zu ihrer eigenen Einschätzung der Republik. Zusätzlich führten die Forscher mit etwa 100 Schülern Einzel- und Gruppengespräche.

Bei der Zuordnung von Politikern aus der DDR und der Bundesrepublik lagen die Jugendlichen laut Umfrage häufig daneben. Fast jeder dritte Befragte hielt Konrad Adenauer, den früheren Bundeskanzler der BRD, für einen DDR-Politiker. Auch den Ex-Kanzler Ludwig Erhard verpflanzten viele in den Osten.

Nur rund 17 Prozent der Schüler in Ost-Berlin und etwa 26 Prozent der Schüler im westlichen Teil der Stadt hätten gewusst, dass es in der DDR bis 1987 die Todesstrafe gab, sagte Schroeder. Aber auch die meisten Lehrer hätten darüber nicht Bescheid gewusst. Einige Ost-Berliner unter den Pädagogen hätten selbst nach der Aufklärung nicht daran glauben wollen.

Fast 40 Prozent der Ost-Berliner Schüler und knapp 25 Prozent ihrer Altersgenossen im westlichen Berlin ordneten die Staatssicherheit (Stasi) als normalen Geheimdienst ein, "wie ihn jeder Staat hat". Auch als Diktatur wollten viele Schüler die DDR nicht bezeichnen. Die Trennlinien zwischen Demokratie und Diktatur seien vielen Schülern nicht bekannt, sagte Schroeder. "Je mehr die Jugendlichen aber über die DDR wissen, desto kritischer sind sie ihr gegenüber eingestellt."

Dagegen neigten viele Ost-Berliner Schüler dazu, negative Aspekte der DDR auszublenden und statt dessen an einem idealisierten und auf die sozialen Aspekte reduzierten Bild festzuhalten. Eine ausgeprägte Kinderbetreuung, große Hilfsbereitschaft, sichere Arbeitsplätze - dies präge bei vielen Jugendlichen die Vorstellung von der DDR. "Es ist schockierend, dass Schüler zu Fehleinschätzungen kommen, weil schlicht das Wissen fehlt", sagte Schroeder.

Die Lehrer hätten angesichts der Ergebnisse oft regelrecht unter Schock gestanden, sagte Uwe Hillmer, Mitarbeiter der Studie. "Viele waren auch ratlos, wie sie den Stoff besser vermitteln können." Neben der Verwunderung stießen die Forscher bei Pädagogen und Schulleitern auch auf Vorbehalte. "Da gab es zum Teil beinharte Ablehnung", sagte Hillmer.

Das Thema DDR müsse in den Schulen grundsätzlich stärker behandelt werden, appellierte Schroeder. Der erste Ansatzpunkt dafür seien aber die Universitäten und die Lehrerausbildung. "Ich glaube, dass viele Lehrer fast so wenig Wissen haben wie Schüler", sagte er.

(afp)
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