Soldatenwallfahrt Pilgerreise im Kampfanzug

Lourdes · Unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen trafen sich mehr als 10.000 Teilnehmer bei der Soldatenwallfahrt in Lourdes.

Die Soldatenwallfahrt Lourdes 2016
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Die Soldatenwallfahrt Lourdes 2016

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Die junge Frau Feldwebel kniet im gefleckten Tarnanzug, die dunkelblonden Haare zum strengen Zopf gebunden, tief im Gebet versunken schon seit 20 Minuten bewegungslos in der Kirchenbank - in Trauer um einen gefallenen Kameraden, wegen eines Todesfalls in der Familie, für einen Herzenswunsch oder aus Dankbarkeit für erfahrenes Glück? Die Antwort muss offenbleiben, so wie sich auch ein heimliches Foto verbietet. Denn wer wollte dieses stille Zwiegespräch mit Gott stören?

Still? Das scheint nicht so recht zu passen zum weltweit meistbesuchten katholischen Wallfahrtsort überhaupt. Das südfranzösische Lourdes mit Blick auf die schneebedeckten Berggipfel der Pyrenäen, über dem während der Messen im Freien die Adler kreisen, präsentiert sich beim ersten Kontakt vielmehr ziemlich laut und grellbunt.

Draußen vor der Kirche herrscht Partystimmung wie am Strand von Mallorca. Menschen drängen sich zu Tausenden in den Straßen; Andenkenladen reiht sich an Andenkenladen, mit dem immer gleichen Angebot von Madonnenfiguren, Heiligenbildchen, Rosenkränzen, Kerzen - und natürlich leeren Plastikflaschen und -kanistern für das heilende Wasser von Lourdes.

Italienische Carabinieri, britische "Bärenfellmützen", portugiesische Gardisten mit wehendem Rossschweif auf dem Silberhelm, deutsche Gebirgsjäger - die größte Armee der Welt ist wieder in Lourdes einmarschiert, oder, wie es Pfarrhelfer Manfred Köhn aus Idar-Oberstein formuliert, "die größte Friedensbewegung der Welt": Weit mehr als 10.000 Soldaten aus 40 Nationen bevölkern den Ort, inzwischen zum 58. Mal seit 1958. Doch diesmal ist etwas anders als sonst: Bei der abendlichen Lichterprozession, vielsprachig von geistlichen Texten über Lautsprecher begleitet, ist plötzlich ein Satz in Deutsch zu hören: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun."

Wer damit 2016 Jahre nach Christi Geburt gemeint ist, ahnt man beim Blick auf den Eingang zum Heiligen Bezirk: Vier Fallschirmjäger mit Schnellfeuergewehren patrouillieren. Wer näher hinschaut, entdeckt im Hintergrund weitere schwer bewaffnete Soldaten und sehr viel Polizei - die Gebete finden unter dem Schutz des Schwertes statt.

Frankreich im Ausnahmezustand. Schon die Anreise in zwei Sonderzügen oder per Auto erfolgte "getarnt": Vor der schweizerischen Grenze mussten die Soldaten im Zug Zivil anziehen, berichtet Stabsunteroffizier Tobias Dietz aus Bitburg, einer der 755 Pilger, über die deutsche Katholische Militärseelsorge. Und die Dienstfahrzeuge mit Y-Kennzeichen wurden diesmal vorsichtshalber gegen unscheinbare Mietwagen ausgetauscht. "Ein zutiefst verunsichertes Land" hat Franz-Josef Overbeck, seit 2009 Bischof von Essen und seit 2011 Militärbischof der Bundeswehr, vorgefunden.

"Die französische Armee ist in höchste Alarmbereitschaft versetzt und erzeugt so Unruhe unter den anderen Soldaten", sagt Overbeck. "Aber ich habe immer gesagt: Sollte es nicht aus politischen oder militärischen Gründen notwendig sein abzusagen, fahren wir nach Lourdes. Nichts ist unangemessener, als eine Form von Druck oder gar Hysterie zu erzeugen. Es ist für mich klug, souverän zu bleiben."

Das sehen auch die Teilnehmer so, wie Stabsfeldwebel Hermann Krott aus Köln, der zum siebten Mal in Lourdes dabei ist: "Diese unsichtbare Bedrohung zerstört das Unbeschwerte, das eine Wallfahrt ausmacht. Es sind auch weniger Teilnehmer als sonst dabei." Doch wie Krott genießen die meisten Pilger die Reise und ihre eigentümliche Mischung aus Andacht, Völkerverständigung und fröhlichem Feiern bis tief in die Nacht trotz der Terrorgefahr.

"Die katholische Kirche kann auch Party", meint Josef König vom Katholischen Militärbischofsamt aus Berlin augenzwinkernd. Wie zum Beweis legt Hermann Krott mit Leutnant Natalie Michalik aus Hamburg beim Abschlusskonzert des Luftwaffenmusikkorps Münster in der Kirche St. Bernadette ein flottes Tänzchen aufs fromme Parkett. Kameraden, Patres, Nonnen und zivile Pilger, davon viele in Rollstühlen, applaudieren ob dieser spontanen Einlage begeistert.

Nirgendwo anders kommen Gefreite so zwanglos mit höchsten Vorgesetzten ins Gespräch, darunter Vizeadmiral Joachim Rühle. Der oberste militärische Personalmanager der Bundeswehr ist mit Ehefrau Katharina angereist: "Ich schätze diese besondere Stimmung und das außergewöhnliche kameradschaftliche Miteinander sehr." Eine Aussage, die quer durch alle Dienstgradgruppen und Nationen zu hören ist. Es ist tatsächlich eine große Familie, die sich in Lourdes trifft. Der Besucher kommt schnell mit wildfremden Menschen ins Gespräch, man plaudert im wahrsten Wortsinn über Gott und die Welt. In den ruhigen Momenten wie etwa nachts im Gebet an der Grotte, der Stelle der Marienerscheinungen, reflektieren die Soldaten ihren problematischen Auftrag, der dem zehnten Gebot, "Du sollst nicht töten", eigentlich zu widersprechen scheint.

Nicht alle kommen aus friedlichen Regionen nach Lourdes: Viele Ukrainer suchen in Lourdes im Glauben Trost, auch Soldaten aus heftig umkämpften Gebieten in Afrika. "Du sollst nicht morden", übersetzt Franz-Josef Overbeck tröstend. "Jeder hat auch eine Pflicht, das Leben des anderen zu schützen, wenn es bedroht wird. Menschen in Not zu helfen, gehört zum Evangelium."

(mic)
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