Viele Frauen verunsichert Die Straße ist kein Angstraum

Düsseldorf · Seit den Übergriffen in Köln sind viele Frauen verunsichert. Sie meiden sogenannte Angsträume wie Bahnhöfe oder dunkle Straßen. Doch das Problem, dem sie damit aus dem Weg gehen, existiert so gar nicht.

 Der Hauptbahnhof in Köln ist nach den Übergriffen an Silvester für viele Frauen zum Angstraum geworden.

Der Hauptbahnhof in Köln ist nach den Übergriffen an Silvester für viele Frauen zum Angstraum geworden.

Foto: dpa, hjb

Zu Karneval hat die Stadt Köln eine zentrale Botschaft: Frauen können sich sicher fühlen, auch nach den Übergriffen in der Silvesternacht. Dafür wird einiges getan. An einem speziellen Treffpunkt sollen rund um die Uhr Polizei, Opferschutz und Sozialarbeiter anzutreffen sein. Außerdem soll an potenziellen Gefahrenpunkten mobile Beleuchtung eingerichtet werden. So soll es in der Stadt "möglichst keine Angst- und Dunkelräume" geben, erklärte Stadtdirektor Guido Kahlen.

Da ist er, der "Angstraum". Seit den Übergriffen am Kölner Hauptbahnhof geistert der Begriff wieder durch die öffentliche Diskussion. Es geht um nicht weniger als um die Frage, ob sich Frauen in Deutschland in der Öffentlichkeit noch unbekümmert bewegen können.

Die Vorstellung vom Angstraum ist präsent, und sie ist wirkungsvoll. An Silvester hat sie sich in Form des Kölner Hauptbahnhofs manifestiert. Ob Angsträume aber reale Gefahrenräume sind, ist unter Experten umstritten. Aus Sicht der Soziologin Renate Ruhne sind sie ein soziales Konstrukt: "Einen Raum als ,Angstraum' zu bezeichnen heißt, ihn mit einem bestimmten Gefühl aufzuladen, das auf eine Gefahrensituation verweist, aber keineswegs immer mit einer realen Gefahr verbunden sein muss. Eine ,Angstraum'-Diskussion ist immer eine Pauschalisierung", sagt sie. Die Diskussion um mögliche unsichere Orte reproduziere und verstärke die Ängste und sei demnach nicht hilfreich.

"Öffentliche Räume sind leider oft keine sicheren Orte für Frauen", sagt dagegen Katharina Göpner vom Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe. Massenveranstaltungen wie Karneval, Silvester oder das Oktoberfest gehörten dazu. Sandra Schwark, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich Sozialpsychologie der Universität Bielefeld nennt abgelegene Ecken wie Parks oder die U-Bahn, die vor allem nachts von Frauen gemieden würden.

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Ob ein Ort bei einer Frau ein Gefühl von Unsicherheit hervorrufe oder nicht, sei jedoch individuell verschieden, sagt Göpner. Auch nach den Vorfällen von Köln gebe es viele Frauen, die ohne Angst nachts am Bahnhof auf den Zug warteten. Trotzdem sind seit Silvester bei den Beratungsstellen mehr Anfragen eingegangen als zuvor. Nicht alle haben jedoch unmittelbar mit den Übergriffen zu tun. "Köln und die sich anschließende öffentliche Diskussion haben viele Frauen ermutigt, über ihre Erfahrungen zu sprechen und gegebenenfalls sogar Anzeige zu erstatten", sagt Göpner. Defizite bei der Sicherheit für Frauen in der Öffentlichkeit habe es schon vorher gegeben. Sie wurden jedoch kaum thematisiert.

Die Angst vor sexueller Gewalt im öffentlichen Raum steht im Widerspruch zu der Häufigkeit tatsächlicher Übergriffe. In der Polizeilichen Kriminalstatistik für 2014 werden neun Fälle von Vergewaltigung und sexueller Nötigung pro 100.000 Einwohner ausgewiesen. Von gefährlicher Körperverletzung registrierte die Polizei dagegen 156 Fälle pro 100.000 Einwohner. Auch das Vorurteil, dass in Großstädten allgemein mehr Gewalt und damit auch mehr Gewalt gegen Frauen passiert, wird von der Statistik nicht bestätigt. Zwar ereigneten sich 2014 laut Polizei in Städten mit über 500.000 Einwohnern 25,5 Prozent der erfassten Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen. Ebenso viele, nämlich 25,6 Prozent passierten allerdings in Kleinstädten mit weniger als 20.000 Einwohnern.

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Zudem erfahren Frauen Gewalt vordergründig nicht im öffentlichen, sondern im privaten Raum. Zwei Drittel der Gewalttaten gegen Frauen gehen von vertrauten Personen wie nahen Angehörigen oder dem Partner oder Ex-Partner aus. Einer im Auftrag des Bundesfamilienministeriums durchgeführten Studie zufolge haben rund 25 Prozent der Frauen im Alter zwischen 16 und 85 Jahren mindestens einmal in ihrem Leben körperliche und/oder sexuelle Gewalt durch Beziehungspartner erlebt.

Statistisch gesehen seien es nicht die Frauen, die den öffentlichen Raum meiden müssten, sondern die Männer, sagt Ruhne. Männer werden in der Öffentlichkeit häufiger in Kriminalität und Gewalt verwickelt als Frauen. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik waren 2014 59,4 Prozent der Opfer und 74,3 Prozent der Tatverdächtigen männlich.

Ob Angsträume also real oder gesellschaftliche Konstrukte sind, bleibt Teil der Debatte. Gleichwohl herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass sich Frauen im öffentlichen Raum sicher fühlen sollten. In diese Richtung ging auch der Vorschlag eines Regensburger Stadtrates, abgetrennte "Lady-Zonen" in öffentlichen Verkehrsmitteln einzurichten. Männern sollte der Zutritt zu diesem Bereich verboten werden. Gekennzeichnet werden sollte er "in Pink oder in einer anderen Farbe". Der Protest war laut, und kam nicht zuletzt von Frauenverbänden. "Die Regeln des Anstands gelten in jedem Winkel eines Busses, sie gelten auch außerhalb auf Straßen und Plätzen, am Arbeitsplatz und im häuslichen Bereich. Wenn wir Schutzzonen für Frauen einrichten, kapitulieren wir vor der Gewalt", sagte etwa Patricia Aden, Vorsitzende des Frauenrats NRW.

Statt die Angst auf einen bestimmten Ort zu projizieren, müssten Frauen dazu ermutigt werden, öffentliche Räume selbstbewusst zu nutzen, sagt Soziologin Ruhne. Für Katharina Göpner können Frauenparkplätze und -taxis eine Möglichkeit sein, Frauen ein Gefühl von mehr Sicherheit zu geben. Am Ende werden aber weder sie noch verstärkte Videoüberwachung, mehr Polizei oder pinke Sitze im Bus den entscheidenden Unterschied machen. Das, worauf es ankommt, sei im Grunde ganz simpel: "Es braucht eine Auseinandersetzung mit den Ursachen von Gewalt gegen Frauen. Und Männer sollten sich Frauen gegenüber respektvoll verhalten."

(lsa)
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