Ausschreitungen in Flüchtlingsunterkunft Ärger gibt es in Kassel-Calden fast täglich
Düsseldorf/Calden/Berlin · In der Flüchtlings-Unterkunft Calden (Hessen) ist es schon vor der Massenschlägerei am Sonntag wiederholt zu Vorfällen gekommen. Auch Polizeigewerkschafter in NRW fordern jetzt, die Flüchtlinge nach Ethnie und Religion zu trennen.
Flüchtlinge an den Wänden von Containern aufgereiht, eine Hundertschaft der Polizei im Großeinsatz. Die Bilder aus der Flüchtlingsunterkunft in Kassel-Calden erschrecken.
Ausgelöst wurde die Gewalt am Sonntag nach Polizeiangaben durch eine Kleinigkeit während der Essenausgabe. Dabei kam es zu einer Rangelei zwischen zwei Bewohnern, die eskalierte. Am Ende sollen mehr als 350 Menschen an der Prügelei beteiligt gewesen sein, inbesondere Albaner und Pakistaner.
Die Polizei konnte die Lage zunächst beruhigen, am Abend verschärfte sich die Situation wieder. Die Flüchtlinge schlugen dann unter anderem mit Stöcken aufeinander ein und versprühten Reizgas. 13 Flüchtlinge und drei Polizisten wurden verletzt. Bis zu 50 Polizisten waren im Einsatz, um die Lage unter Kontrolle zu bringen. Etwa 100 Pakistaner wurden anschließend in andere Unterkünfte gebracht.
Der hessische CDU-Generalsekretär Manfred Pentz forderte deutliche Konsequenzen für die Verantwortlichen der Krawalle: Wer die Hilfsbereitschaft und die Rechte im Land mit Füßen trete, müsse in sein Herkunftsland zurückgeschickt werden.
Flüchtlinge und Unterstützer machten dagegen auf die angespannte Situation in der Zeltstadt aufmerksam. Bei einer Kundgebung vor dem Regierungspräsidium Kassel forderten etwa 50 Demonstranten mehr Platz, Privatsphäre und Duschen sowie mehr Informationen für Asylsuchende. Die Menschen müssten hier zwei Stunden an der Essensausgabe anstehen und "um ein zweites Stück Butter betteln".
Bereits in der Vergangenheit ist es in Calden wiederholt zu Vorfällen gekommen. "Einsätze mehrmals in der Woche sind für uns an der Tagesordnung", sagt ein Sprecher der lokalen Polizei unserer Redaktion. "In der Regel handelt es sich um Schlägereien oder Diebstahldelikte", so der Sprecher. Im Verhältnis zu den Ausschreitungen vom Wochenende habe es sich bisher aber immer wieder um kleinere Delikte gehandelt.
Kassel-Calden ist kein Einzelfall. Im thüringischen Suhl hat es im August Krawalle in einem Flüchtlingsheim gegeben, weil ein Bewohner der Einrichtung einige Seiten aus einem Koran herausgerissen haben soll. Daraufhin seien einige andere Bewohner auf den Mann los gegangen. Die Wut der Bewohner habe sich dann auch gegen die Polizei gerichtet. Etwa 50 Menschen hätten die Beamten mit Steinen beworfen und seien mit Eisenstangen auf sie losgegangen. Mehrere Streifenwagen wurden beschädigt. Es gab mehr als 14 Verletzte, darunter mindestens vier Polizeibeamte.
In Nordrhein-Westfalen hat es von Januar bis August dieses Jahres 1288 Polizeieinsätze in Flüchtlingsunterkünften gegeben. Das geht aus einer Antwort von Innenminister Ralf Jäger (SPD) auf eine kleine Anfrage des CDU-Landtagsabgeordneten Theo Kruse von Anfang September hervor. Demnach gab es alleine in den Landeseinrichtungen 499 Straftaten, meistens Körperverletzung, Diebstahl und Sachbeschädigung. Im Vergleich zu Zahlen anderer Straftaten und Milieus sei das überschaubar, wie es aus Polizeikreisen heißt. Die Zahlen aber steigen — auch wegen der prekären Situation in den Unterkünften.
"Das Kernproblem von Anfang an ist, dass alle möglichen Ethnien auf engstem Raum über Wochen und Monate zusammen leben müssen", sagt Sebastian Fiedler, stellvertretender Bundesvorsitzender vom Bund Deutscher Kriminalbeamter, unserer Redaktion. "Wir müssen es im Bestfall schaffen, die Flüchtlinge geordneter unterzubringen. So können sie auch viel gezielter und effektiver betreut werden. Zum Beispiel auch, was Dolmetscher angeht."
Angesichts der vermehrten Großeinsätze in Flüchtlingsunterkünften hat jetzt auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) eine getrennte Unterbringung der Flüchtlinge nach ethnischen Gruppen gefordert. Der Zeitung "Die Welt" sagt der stellvertretende GdP-Bundesvorsitzende Jörg Radek: "Wir müssen alles tun, um weitere Gewaltausbrüche zu verhindern, eine getrennte Unterbringung auch nach den Religionen halte ich für absolut sinnvoll. "
Laut Radek sei die Polizei an ihrer absoluten Belastungsgrenze angelangt. Die Einsatzkräfte würden vermehrt zu Auseinandersetzungen in Flüchtlingsheimen gerufen. "Wenn da 4000 Menschen in einem Heim sind, das eigentlich nur 750 Plätze hat, dann führt diese Enge zu Aggressionen, wo selbst eine Winzigkeit wie der Gang zur Toilette zu einer Handgreiflichkeit führt", sagt er. Da reiche es oft nicht, wenn ein Streifenwagen hingeschickt würde, "da sind dann bis zu 21 Streifenwagen im Einsatz".
Der Bund Deutscher Kriminalbeamter fordert deutliche bessere Prävention, etwa durch eine speziell entwickelte App in den Sprachen der Flüchtlinge. "Den betreffenden Menschen muss von Anfang an klar gemacht werden, dass sie bei uns herzlich willkommen sind, sich aber an gewisse Regeln zu halten haben, zum Beispiel gegenüber unseren Beamten im Einsatz. Und dass ihnen ernsthafte Konsequenzen drohen, wenn sie sich nicht an die Regeln halten", sagt Sebastian Fiedler.
Erneut räche sich die Sparpolitik der vergangenen Jahre. Auch wenn das Land NRW jetzt mehr Polizisten einstellt, dauert es seine Zeit, bis diese ausgebildet und im Einsatz sind. "Aber selbst dann könnten wir nicht permanent an den Unterkünften im Einsatz sein", sagt Gewerkschafter Sebastian Fiedler. Darum müssten die Standards für die Sicherheitsdienste überprüfen werden. Zum Beispiel, ob das eingesetzte Personal für die derzeitige Anzahl an Flüchtlingen ausreicht, oder ob man zukünftig mehr Mitabeiter der Sicherheitsdienste einsetzen muss.