Einwanderungsland Deutschland Integration gelingt besser und bringt mehr Dynamik

Berlin · Deutschland hat allen Grund, sich auf eine Zukunft als Einwanderungsland zu freuen. Denn die Integration gelingt immer besser, macht die Gesellschaft jünger, dynamischer und zukunftsfest. Alte Probleme bestehen noch durch die verpasste Ausbildung vieler türkischstämmiger Menschen der ersten Generationen. Das geht aus neuen Studien hervor.

Gastarbeiter in Deutschland - die Fakten
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Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes leben in Deutschland rund 15,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund — das entspricht einem Anteil von 19,2 Prozent an der gesamten Wohnbevölkerung. Laut dieser Erhebung, die noch aus dem Jahr 2011 stammt, hat also schon jeder Fünfte ausländische Wurzeln. Denn die Statistiker definieren Migrationshintergrund als Zuwanderung von Ausländern oder Deutschen nach 1955 nach Deutschland oder aber von Kindern, bei denen mindestens ein Elternteil nach 1955 aus dem Ausland kam. Von diesen 15,3 Millionen haben 60,2 Prozent einen deutschen Pass. Es gibt auch deutlich mehr Zugewanderte als hier Geborene (63:37).

Hinter diesen Zahlen stecken spannende Entwicklungen, wie das Berlin-Institut für Bevölkerungsentwicklung herausgefunden hat. Bei den Kleinkindern unter fünf Jahren hat bereits jedes dritte einen Migrationshintergrund. Und gerade in der jüngeren Vergangenheit hat sich das Bildungsniveau der Zuwanderer deutlich verbessert. Zudem profitieren auch immer mehr Migranten vom stabilen Wirtschaftswachstum in Deutschland.

Wenig überraschend ist der Befund, dass die am besten integrierte Gruppe aus den EU-Mitgliedsländern kommt. Viele haben hohe Qualifikationen und schon ein Jobangebot in der Tasche. Eine vertiefte Sicht auf die Migranten aus den neuen EU-Beitrittsländern Bulgarien und Rumänien lässt die Debatte über eine angebliche Armutszuwanderung in einem anderen Licht erscheinen. Die Zuwanderer aus diesen beiden Ländern ändern an dem guten Befund nämlich nichts: "Auch von dort kommen größtenteils gut bis hochqualifizierte Migranten zu uns, die sich gut auf dem Arbeitsmarkt integrieren", hält Berlin-Institut-Chef Reiner Klingholz fest.

Die wichtigsten Fakten des Zensus 2011
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Noch immer rächt sich, dass die Gastarbeiter der ersten Stunde aus Italien, Spanien, Griechenland, Portugal und vor allem der Türkei weitestgehend sich selbst überlassen wurden. Sie selbst und auch noch ihre Kinder und Enkel haben deutlich schlechtere Bildungsabschlüsse und fehlende Ausbildung als der Rest der Bevölkerung. Diese "alten" Probleme wachsen nach Einschätzung des Berlin-Institutes zwar allmählich aus dem Arbeitsmarkt heraus; dafür wachsen sie als neue Probleme etwa ins Pflegesystem hinein. Es bleibe in hohem Maße bei dem Befund, dass es den Kindern von türkischen Zuwanderern vergleichsweise selten gelinge, die Bildungsdefizite ihrer Eltern aufzuholen. Allein türkische Mädchen gehörten im Bildungsbereich zu den "Integrationsgewinnern".

"Wir brauchen Zuwanderung"

Inzwischen haben sich die Menschen, die aktuell aus den klassischen Gastarbeiterländern kommen, aber den übrigen Europäern angenähert: "Bei ihnen handelt es sich überwiegend um Qualifizierte mit guten Chancen auf dem Arbeitsmarkt", betont Klingholz. Und er wirbt darum, Deutschlands Chancen als Einwanderungsland vermehrt zu nutzen. Es gebe keine andere Möglichkeit: "Wir brauchen Zuwanderung, um diese Gesellschaft am Leben zu erhalten."

Viele Potenziale blieben noch ungenutzt, etwa bei Zuwanderern aus Afrika, unter denen sich zwar viele geringqualifizierte Migranten befänden, unter denen aber auch Hochqualifizierte kaum ihrer Ausbildung entsprechende Beschäftigung fänden. Generell gilt bei einem Fünf-Jahres-Vergleich, dass die Integration überall Fortschritte gemacht hat, bei den Problemgruppen freilich noch zu wenig.

Ausreißer im positiven Sinne sind vor allem Migranten aus dem Fernen Osten. Fast jeder zweite Migrant aus diesen asiatischen Ländern verfügt über einen akademischen Abschluss, und auch die hier geborenen Kinder der zweiten Generation schlagen einen ähnlichen Weg ein. Zwar sind derzeit noch 90 Prozent unter 20 Jahre, aber von den Älteren haben 57 Prozent bereits die Hochschulreife erreicht — gegenüber lediglich 43 Prozent unter den Einheimischen. Gerade aus China kommen Menschen nach Deutschland, die angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels dringend gebraucht werden. Denn sie haben sich spezialisiert auf die so genannten MINT-Fächer, also auf Mathematik, Ingenieur- und Naturwissenschaften und Technik.

Erstmals hat das Berlin-Institut neue statistische Wege zur Erforschung der "Lebenswelten" auch für Migranten verwendet. Dieses Konzept stammt aus der Marktforschung und soll helfen, das Konsumverhalten verschiedener Bevölkerungsschichten zu untersuchen. Auf diese Weise lässt sich verfolgen, wer im Laufe seines Lebens seinen gesellschaftlichen Status verändert. Weil Migranten im Schnitt deutlich jünger sind, befinden sie sich auch noch in größerem Umfang in Ausbildungsphasen. Danach aber wird ein Angleichungsprozess deutlich: Gerade die neu Zugewanderten haben ähnliche Chancen wie die Einheimischen. Und einen weiteren Grund zur Hoffnung bildet ein weiteres Phänomen: Unter den in Deutschland geborenen Migranten ist der Anteil derjenigen, die in der "Lebenswelt junge Top" anzusiedeln sind, deutlich größer als unter den direkt Zugewanderten und den Einheimischen.

Regionale Unterschiede

Der Befund unterscheidet sich auch regional. So fällt auf, dass Nordrhein-Westfalen mit seinen vielen Großstädten deutlich mehr Migranten ohne Schulabschluss hat als andere Bundesländer mit Ausnahme Berlins: 15 Prozent aller Migranten sind dies, in Rheinland-Pfalz sind es elf. In der einheimischen Bevölkerung haben zwei Prozent keinen Bildungsabschluss. Mit 31 Prozent Menschen mit Hochschulreife unter den Migranten liegt Rheinland-Pfalz auf dem vorletzten Platz vor Niedersachsen mit 30 Prozent. Dagegen haben sich Migranten und Einheimische in beiden Bundesländern in ihrem Anteil an den Selbständigen bereits stark angeglichen: Neun Prozent unter den Migranten, zehn unter den Einheimischen. Die "Hausfrauenquote" ist unter den Migranten in NRW mit 38 Prozent besonders hoch, die Erwerbslosenquote unter den Migranten in Rheinland-Pfalz mit neun Prozent besonders niedrig. Auffällig ist auch die regionale Ost-West-Verteilung. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes leben lediglich 3,3 Prozent aller Migranten in den östlichen Bundesländern.

Zieht man einen Schluss unter alle Befunde, ergibt sich eine hoffnungsvolle Antwort auf die Herausforderungen durch die Demografie für Deutschland. Wenn Integration immer besser gelingt und junge Migranten mindestens so gute Karrierechancen haben wie junge Einheimische, dann kann Deutschland als Einwanderungsland nur gewinnen: Schon jetzt sind Migranten im Schnitt 35 Jahre alt, die Einheimischen 45. Und mehr als die Hälfte der Migranten (55 Prozent) sind minderjährig. Sie werden Deutschlands Zukunft, Wirtschaftskraft und soziale Sicherheit in immer größerem Maße mit gestalten.

(may)
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