Tod des Altkanzlers Die Kohls — eine Familientragödie

Düsseldorf · Mit seiner Partei hatte sich Helmut Kohl weitgehend ausgesöhnt. Mit seinen Söhnen ist ihm das nicht gelungen. Nach dem Tod des Altkanzlers bekam die Öffentlichkeit noch einmal einen Eindruck davon, wie zerrüttet die Familie ist.

Helmut Kohl: Die Familientragödie der Kohls
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Willy Brandt, zweimal geschiedener Vater dreier Söhne, vermochte seine Sippe schon nicht mehr derart eng zusammenzuhalten, wie das Adenauer vergönnt war. Bei Brandts Beerdigung 1992 führte die dritte Ehefrau Brigitte Seebacher-Brandt Regie; die gebürtige Norwegerin Rut Brandt, von ihm geschiedene Mutter seiner Kinder, blieb der Beisetzung fern. Und einer der Söhne berichtete später von Kühle des Vaters. Dem großen Menschenfischer Willy Brandt fehlte die Begabung zum Familienmenschen.

Bei Helmut Kohl, der bereits vor seinem Tod gleichsam bei lebendigem Leib in die Geschichte eingegangen war, liegt das familiäre Desaster ausgebreitet wie ein rissiges Laken seit Jahren zur allgemeinen Besichtigung vor uns. Wer die Fernsehbilder gesehen hat, wie sich Kohls ältester Sohn Walter am Todestag den Weg zum Sterbehaus, seinem Elternhaus, fast handgreiflich vorbei an störrisch wirkenden Wachleuten bahnen musste, bekam einen Eindruck vom Grad der Zerrüttung einer Familie.

Immerhin, man ließ den Sohn schließlich zum aufgebahrten Vater. Nach kurzer Zeit trat der wohl nicht sehr willkommene Besucher wieder vor die Tür. Was er dann sicht- und hörbar aufgewühlt sagte, war ein weiterer erschütternder Beleg für einen nicht mehr existenten Familienverbund: Der Filius berichtete, dass er 2011 den letzten telefonischen Kontakt mit dem Vater gehabt habe, dass dieser Versöhnungsversuchen gegenüber unversöhnlich geblieben sei, dass sein Vater auch zu den beiden Enkelkindern (Walter Kohl hat einen Sohn, der jüngere Bruder Peter eine Tochter) keine Verbindung gehalten habe.

Hannelore Kohl, die Tanzstundenliebe Helmut Kohls, die nach 41 Ehejahren vor fast genau sechzehn Jahren mit einer Überdosis Tabletten freiwillig aus dem Leben geschieden war, hatte das Zerwürfnis kommen sehen. In ihren Abschiedsbriefen hatte sie die dringende mütterliche Bitte "Vertragt euch" formuliert. Es half nichts. Am zehnten Todestag ihrer Mutter gedachten die Söhne ihrer ohne den Vater, und am Elternhaus in Ludwigshafen-Oggersheim begehrten sie vergebens Einlass. Über die Wiederheirat des Vaters 2008 in der Kapelle einer Heidelberger Reha-Klinik wurden die engsten Blutsverwandten im Nachhinein informiert. Wählten sie die Privatnummer im Elternhaus, wurden die Anrufe an das Berliner Büro des Altkanzlers weitergeleitet.

Während Walter Kohl sich bestens verkaufende Bücher darüber schrieb, wie sehr das Familienleben darunter gelitten habe, dass Vaters Familie eigentlich aus Politik und CDU bestanden hat, zielte Sohn Peter in einem aufsehenerregenden Interview frontal gegen die Stiefmutter Maike Kohl-Richter. Aus dem mit seiner türkischen Ehefrau und der Tochter bei Zürich lebenden Volkswirt und Banker sprach Hass, als er dem Vater indirekt unterstellte, diese um 34 Jahre jüngere Maike Richter nie und nimmer geheiratet zu haben, wenn er nicht durch seinen Sturz behindert gewesen wäre.

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Das war ein schweres Foul, verstärkt noch durch gegen die Stiefmutter zielende Giftpfeile, sie trage in Oggersheim Kleider und Schmuckstücke seiner Mutter. Die Volkswirtin Maike Kohl-Richter, die den von ihr schon früh verehrten Helmut Kohl noch als Kanzleramts-Mitarbeiterin in den 90er Jahren kennengelernt hatte, schwieg überwiegend zu den ungeheuerlichen Vorwürfen, sie zerschneide in ihrer häuslichen und pflegerischen Macht über den kranken Ehemann die ohnehin dünnen Bande zwischen Vater und Söhnen.

Einer, der die kluge Siegerländerin Maike Richter aus gemeinsamen Jugendtagen gut kennt, zeichnete immer ein günstigeres Bild: nämlich das einer wirklich liebenden Ehefrau, die ihren Helmut treu umsorge und ihm den unerbittlich abschnurrenden Lebensrest erhelle.

Kohls jahrzehntelanger Chauffeur und Duzfreund-Paladin Eckhard "Ecki" Seeber wiederum redete nicht gut über die neue Ehefrau, die nun die Schlüsselgewalt im Haus zulasten der Ursprungsfamilie und treuer Freunde innehabe. 2008, auf dem Parkplatz besagter Heidelberger Klinik, habe Maike Richter-Kohl von ihm die Herausgabe der Wagenschlüssel verlangt. Aus Seebers Sicht (seine Ehefrau hatte als Zugehfrau der Kohls 2001 Hannelore Kohl tot in ihrem Bett gefunden) hatte Ehefrau Nummer zwei eine unverzeihliche Treulosigkeit ihm gegenüber begangen. Zur Wahrheit zählt aber auch, dass der treue "Ecki" nach dem Ende von Kohls Kanzlerzeit in Oggersheimer Lokalen gerne allerlei Geschichten preisgab und sich mit seiner Nähe zum bedeutenden Mann brüstete.

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Wir werden nie erfahren, ob und was der hinfällige, zuletzt kaum noch artikulationsfähige Kanzler im Rollstuhl über seine kaputte Familie gedacht hat, welche Vorwürfe er seinem Sohn Walter gemacht hat. Was wir wissen, ist, dass Staats-Vater Kohl, ob in der Politik oder daheim in der Famillje, wie er es ausdrückte, extrem dominant auftrat. Wenn etwa Sohn Walter klagte, wie sehr er in der Schule allein aufgrund seines Familiennamens gedemütigt wurde, gab der kampferprobte Alte nur den Rat: "Du musst stehen."

Vater Kohl nahm auch wenig Rücksicht auf das sensible Gemüt seines Ältesten, der 2002 an Suizid gedacht haben will. Als dieser nach einem Studienaufenthalt an der Elite-Universität Harvard eine erste, sehr gut bezahlte Anstellung bei einer US-Bank fand, zeigte er stolz den angereisten Eltern seinen Arbeitsplatz. Der war jedoch nach amerikanischer Angestellten-Art von sehr bescheidenem Zuschnitt, was Vater Kohl mit einem "Und das ist alles?" quittiert haben soll. Walter Kohl war wie am Erdboden zerstört, oder: wieder einmal von der väterlichen Dampfwalze geplättet.

Mit seiner Partei hat sich der große Staatsmann zum 30. Jahrestag seiner Kanzlerwahl 1982 weitgehend ausgesöhnt. Mit seinen Söhnen ist ihm das nicht gelungen, wenn er es überhaupt je ernsthaft versucht hat, bevor er sprachlos wurde.

(mc)
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