Feuerwehrfrau rettet Kind unter U-Bahn "Man muss versuchen, selbst nicht viel Gefühl zu zeigen"

Hamburg · Ein Kind wird von einer U-Bahn überrollt und liegt schwer verletzt unter dem Zug. Eine Feuerwehrfrau kriecht zu ihm hin und hält ihm die Hand. Was geht ihr dabei durch den Kopf?

 Feuerwehrfrau Maike Schier berichtet von ihrem besonderen Einsatz.

Feuerwehrfrau Maike Schier berichtet von ihrem besonderen Einsatz.

Foto: dpa, dbo axs

"Person unter Zug" - so heißt der Einsatz, der für Oberbrandmeisterin Maike Schier am vergangenen Sonntag um 14.35 Uhr beginnt. Die 38-Jährige gehört zu einem Einsatztrupp der Hamburger Feuerwehr. Mit ihren Kollegen fährt sie zum U-Bahnhof Hoheluftbrücke. Ein elfjähriger Junge liegt unter einem Zug, eingeklemmt. "Da musste man erstmal...", erinnert sich Schier am Donnerstag und gerät ins Stocken. "Nicht schlucken" vollendet sie den Satz und fügt schnell hinzu: "Also, wir sind ja da, um zu helfen."

Weil sie nur 1,60 Meter groß ist, schickt der Einsatzzugführer sie unter den Waggon. Sie kriecht unter der Bahn zu dem lebensgefährlich verletzten Jungen hin. Schier hat zwölf Jahre Berufserfahrung und weiß, worum es geht. "Dann war das Ding wirklich nur: versuchen abzulenken und selbst nicht viel Gefühl zu zeigen."

Was passiert ist, weiß sie in dem Moment bereits: Der Junge ist von seiner Mutter vor den einfahrenden Zug gestoßen und überrollt worden. Die 31-Jährige ist vermutlich psychisch krank. Der Junge, dem die Bahn einen Fuß abgefahren hatte, habe komplett unter Schock gestanden. "Ich habe versucht, Nähe aufzubauen, die Hand die ganze Zeit zu halten." Sie habe nicht nur reden, sondern auch körperlichen Kontakt aufbauen wollen. Doch worüber unterhält man sich mit einem Kind, das lebensgefährlich verletzt ist? "Ich habe gefragt, wo er herkommt, was er grad hier macht in den Ferien. Alles Mögliche."

Mit einer psychologischen Taktik komme man in einer solchen Situation nicht weiter. "Da kann man nicht drüber nachdenken. Man macht es einfach", sagt Schier, die selbst keine Kinder hat. Ihr sei dabei klar gewesen, dass sie das Gespräch auf keinen Fall auf die Mutter lenken durfte. "Man wusste durch die Mutter schon, dass es in die Richtung eben gar nicht geht zu fragen." Stattdessen habe sie versucht, ihn mit Fragen zur Schule und zu seinen Hobbys abzulenken. Er habe auf ihre Fragen geantwortet.

"Ich hatte keine Angst, aber Respekt"

Auch wenn die Stromschiene natürlich längst abgeschaltet und geerdet war, ist es auch für die Brandmeisterin keine Routine, auf dem Bauch unter einer U-Bahn zu liegen: "Ja, das ist schon mulmig. Ich habe keine Angst gehabt, aber schon Respekt, eine tonnenschwere Bahn über einem." Schließlich wird der Waggon von ihren Kollegen weggeschoben. Schier hilft, den Jungen auf die Trage zu legen und zum Rettungswagen zu bringen.

Danach war der Einsatz noch lange nicht zu Ende. Es heißt warten. Zunächst untersuchen Kripo und Staatsanwalt den Tatort. Dann säubern Schier und ihre Kollegen die U-Bahnstation. Am frühen Abend sind sie wieder auf der Wache, die Schicht geht noch bis zum nächsten Morgen weiter. Sie hätte jederzeit sagen können, dass sie nach Hause gehen möchte, erläutert Feuerwehrsprecher Hendrik Frese. "Andererseits kann es sein, dass das gar nicht gut ist. Es ist immer besser, erst mit Kollegen zu sprechen."

Auch Schier macht es so. "Dadurch, dass die Kollegen da sind, mit denen man noch darüber redet, und dann doch mal wieder ein bisschen rumflachst, kommt man schon relativ schnell wieder runter", sagt sie. Die 38-Jährige ist ganz Feuerwehrfrau und kann Privates und Arbeit gut auseinanderhalten, wie sie sagt.

(lsa/dpa)
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