Gewalt in Amtsstuben Warum Staatsbedienstete immer öfter attackiert werden

Berlin · Menschen im öffentlichen Dienst stehen unter Druck – auch durch Bürger, die sich selbst unter Druck fühlen. In der Folge werden Beschäftigte immer häufiger Opfer von Gewalt. Die Politik schwankt zwischen Hilfszusagen und Ratlosigkeit.

Gewalt gegen Jobcenter-Mitarbeiter
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Foto: dpa, Henning Kaiser

Menschen im öffentlichen Dienst stehen unter Druck — auch durch Bürger, die sich selbst unter Druck fühlen. In der Folge werden Beschäftigte immer häufiger Opfer von Gewalt. Die Politik schwankt zwischen Hilfszusagen und Ratlosigkeit.

Der Mann hatte eine Einladung vom Jobcenter. Ihm drohte eine Kürzung seiner finanziellen Unterstützung um 30 Prozent. Der Jobcenter-Mitarbeiter wollte das gerade am Computer eintragen. Da holte der Arbeitslose einen Hammer aus der Tasche und schlug zu. Blut spritzte die Wände in dem Jobcenter in Dietzenbach bei Offenbach hoch. Auch als das Opfer am Boden lag, hörte der Täter nicht auf.
Erst ein mutiger Kollege stoppte den Rasenden. Fälle wie dieser rücken Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst immer wieder ans Licht. Doch in vielen Dienststellen herrschen auch sonst im Alltag Verunsicherung, manchmal Angst - und das Gefühl, mit Anfeindungen und Bedrohungen alleine gelassen zu werden.

Als der Täter von Dietzenbach im Mai in Darmstadt wegen versuchten Mordes zu mehr als 13 Jahren Haft verurteilt wurde, gab es bundesweit Aufmerksamkeit. Im Schatten bleiben die Szenen, von denen eine Jobcenter-Mitarbeitern aus dem Landkreis Märkisch-Oderland östlich von Berlin berichtet. Mitarbeiter würden bedroht, wenn sie nach Dienstschluss in der Stadt unterwegs seien, sagt sie bei einer Fachtagung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zu Gewalt gegen Beschäftigte am Freitag in Berlin. "Wer schützt denn unsere Kollegen, wenn sie einkaufen gehen und hinterrücks angegangen werden?"

Polizei hat oft keine Kapazitäten

Immer wieder höre sie aus anderen Jobcentern von Fällen, bei denen bedrohte Mitarbeiter die Polizei rufen. "Die Polizei sagt dann schon einmal: Tut mir leid, wir können leider nicht kommen, weil wir keinen Streifenwagen vor Ort haben." Die Frau richtet sich direkt an Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD). Gerade haben die Minister in dem luftigen Konferenzraum im Berliner Diplomatenviertel Verständnis für die Probleme signalisiert, Abhilfe versprochen und erlassene Gesetzesverbesserungen zitiert.

Konfrontiert mit der verzweifelten Schilderung der Jobcenter-Mitarbeiterin aus Brandenburg zeigt sich nun aber auch Maas ratlos. Die Präventionsprogramme, von denen er eben berichtet habe, würden in solchen Fällen wohl nicht helfen, räumt Maas ein. Sicherheitsmaßnahmen seien da gefragt. "Da geht es im Ergebnis um Geld."

Lehrer und Polizisten im Fokus der Angriffe

Rund 71.800 Polizeivollzugsbeamte wurden 2016 Opfer von Gewaltdelikten, gut 6300 mehr als im Jahr zuvor. 23 Prozent der Lehrkräfte waren laut einer Umfrage an ihrer Schule schon einmal Ziel von Beschimpfungen, Mobbing, Drohungen oder Belästigung - an Hauptschulen sogar 45 Prozent. Sechs Prozent der Lehrer geben an, schon einmal körperlich angegriffen worden zu sein. Polizisten werden bei Verkehrskontrollen als Nazi beschimpft. Rettungsdienste werden behindert, Feuerwehrkräften beim Silvestereinsatz mit Böllern beschossen. Spielt die Gesellschaft verrückt?

"Gefährlich wird es, wenn sich Bürger als Opfer sehen"

Der Bielefelder Erziehungswissenschaftler Wilhelm Heitmeyer rückt die Dinge gerade. "Wir leben nicht in einer völlig gewaltsamen Gesellschaft." Doch manche verletzten zu bestimmten Zeiten Normen, wenn Respekt verloren gehe. Gefährlich werde es, wenn sich Bürger als Opfer sähen. "Wer es schafft, sich als Opfer darzustellen, erwirtschaftet sich eine moralische Überlegenheit, um daraus eine Selbstermächtigung zu ziehen, Normen zu überschreiten." Gleichgesinnte einer Gruppe fühlen sich auch als Opfer. Wer zuschlägt, zeigt es dem Staat stellvertretend auch für die anderen.

DGB-Chef Reiner Hoffmann spannt den Bogen zur sozialen Frage. Die Schere zwischen Arm und Reich gehe immer weiter auf. "Ausgegrenzte Menschen entwickeln natürlich Verhaltensweisen, die ausgesprochen problematisch sind", mahnt der DGB-Chef. Zwar herrscht in Deutschland Rekordbeschäftigung. Doch 15,7 Prozent der Menschen im Land droht laut offizieller Statistik Armut.

Doch es gibt auch konkrete Ursachen im öffentlichen Dienst selbst. Laut DGB fehlen über 110.000 Bedienstete. Dazu komme veraltete Technik und Schutzkleidung, die schon längst ersetzt werden müsste.

Ein junger Bundespolizist schildert de Maizière einen Fall von einem Verdächtigen. Der Mann wurde von der Polizei gefasst, wegen Verjährung dann aber wieder freigelassen. Das Gericht hatte das Verfahren nicht rechtzeitig eröffnet. Da muss der oberste Dienstherr passen. Wenn die Polizei mehr Stellen bekomme, dann müsse die Antwort der Justiz sein, mehr Staatsanwälte und anderes Personal anzustellen, sagt de Maizière. Zuständig sei er dafür aber nicht.

"Eine gewaltfreie Gesellschaft hat es noch nie gegeben und wird es auch nicht geben."

Selbst wenn alle Gewerkschaftsforderungen erfüllt würden, wird nicht alles gut. Wissenschaftler Heitmeyer sagt: "Eine gewaltfreie Gesellschaft hat es noch nie gegeben und wird es auch nicht geben." Aber mit Konflikten umgehen - das müsse die Gesellschaft an vielen Stellen besser lernen. So bereiteten die Unis angehende Lehrer überhaupt nicht darauf vor, dass sie in ihrem Job oft frontal angegangen würden. "Das ist ein absolutes Versagen."

(felt/dpa)
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