#LasstHalternTrauern Ein Schüler aus Haltern klagt Sensationsgier der Medien an

Düsseldorf · Mit einem Blogeintrag sorgt ein Schüler aus Haltern für Aufsehen im Netz. In seinem Text schildert Mika Baumeister, was er während der Belagerung in Haltern miterlebte. Demnach spielten sich in der vom Flugzeugunglück traumatisierten Gemeinde würdelose Szenen ab.

 Ein Transparent in Haltern mahnt Respekt vor den Trauernden an.

Ein Transparent in Haltern mahnt Respekt vor den Trauernden an.

Foto: dpa, mb fpt

In seinem Beitrag vom Montag richtet sich Baumeister direkt an die Medien. "Liebe Sensations-Journalisten", heißt es in seinem Text. Darin wirft er den Medienvertretern eine "penetrante und pietätlose" Berichterstattung vor. "Denn in einem Satz zusammengefasst: Die Berichterstattung war nicht in Ordnung." Baumeister kannte nach eigenem Bekunden die zwei Lehrerinnen und einige Schüler, die in der vergangenen Woche bei dem Absturz in den Alpen ums Leben kamen.

Unter dem Hashtag #LasstHalternTrauern diskutieren zahlreiche Nutzer bei Twitter und Facebook. Die meisten Beiträge schließen sich der Kritik des Schülers an. In Haltern, das zeigt der Blick zurück, haben viele Journalisten eine Grenze überschritten. Zum Teil allein durch ihre schiere Menge, in der sich Fotografen hinter Absperrungen im Konkurrenzkampf um das beste Bild drängelten. Aber auch, weil einige Journalisten sich offenbar schmutziger Methoden bedienten.

Wie in einem Zoo

So beklagt Mika Baumeister, zahlreiche Pressevertreter hätten nicht die nötige Distanz gewahrt. Das hätten auch Angehörige und Mittrauernde so erleben müssen. Detailliert erzählt Baumeister, was sich noch am Unglückstag, dem 24. März, rund um das Joseph-König-Gymnasium abspielte. Unmittelbar nach Schulschluss habe der Wettbewerb um das erste Bild begonnen. Anonyme Anrufe, verbunden mit der Frage, in welchem Verhältnis zu den Opfern stand. Angehörige, die vom Tod ihrer Lieben über Twitter erfuhren.

Was sich dann am Nachmittag vor der Schule abspielte, vergleicht Baumeister mit einem Zoo. Die Presse hinter der Absperrung habe die Schüler wie exotische Tiere begafft. "Wir fühlten uns, als würde die Presse nur auf unsere Reaktion zur endgültigen Affirmation warten, um zerstörte Menschen abzufilmen. Und was machen die Medien? Großaufnahmen von Leidtragenden!" Einige Halterner hätten sich zur Wehr gesetzt und mit ihren Körpern gezielt die Kameras blockiert.

"Wie würdet Ihr Euch fühlen?"

"Kriminelle Energien" beobachtete Baumeister am Tag darauf. Ein Reporter soll sich als Seelsorger verkleidet und unter die Schüler gemischt haben, ein anderer als Lehrer. Zudem sei Geld für Interviews geboten worden. Auch von einer Suche nach Gästen für eine Talkshow ist zu lesen, Telefonterror bei Opferfamilien bis in die Nacht, Handykameras unter einem Strauß Blumen.

Dabei hat Baumeister durchaus Verständnis für das Interesse der Medien. Was er ihnen vorwirft, ist Maßlosigkeit und "Sensationsgeilheit". In einem Interview mit dem Journalist und Blogger Richard Gutjahr fragt er die von ihm kritisierten Journalisten: "Was würdet Ihr Journalisten machen, wenn von Euch Angehörige gestorben wären? Wie würdet Ihr Euch fühlen?" Das sei auch seine Leitfrage beim Schreiben des Blogs gewesen. Für die kommenden Tage wünscht sich Baumeister von den Medien mehr Zurückhaltung, Anstand und weniger Kameras.

Wenn Journalisten sich als Seelsorger ausgeben oder Schulkinder bestechen, Tonaufnahmen aus dem Unterricht zu schmuggeln, dann ist das unfassbar. Mika Baumeister hat in einem bewegenden Blogpost beschrieben, wie die Medien an seiner Schule in #LasstHalternTrauern die Klassenkameraden der verunglückten #GermanWings-Maschine belagern: http://meistergedanke.de/2015/umgang-der-medien-mit-schuelern-und-angehoerigen-in-haltern/43 Ich möchte jeden von Euch bitten, diesen Text zu lesen und zu teilen. Vieles, was da steht, konnte ich nicht glauben, deshalb habe ich Mika kontaktiert (Nachträglich ergänzt: Mika hatte mich zuvor von sich aus kontaktiert) und über seinen Blogpost gesprochen:

In den vergangenen Tagen war bereits auf anderen Netzwerken schärfste Kritik am Verhalten der Medien laut geworden. Mika Baumeister hat der Empörung im Netz eine weitere Stimme gegeben. Bei Twitter zählt #LasstHalternTrauern mittlerweile zu den führenden Themen. Der Schüler aus Haltern bekommt dort viel Zuspruch.

Anmerkung der Redaktion:

Dass die massive Medienkritik der vergangenen Tage auch unsere Redaktion nicht kalt lässt, macht unser Chefredakteur Michael Bröcker in einem Beitrag zur Rolle des Journalismus in solchen Extremsituationen deutlich.

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