Gesperrte Akten für Doktorarbeit freigegeben Fall Anneliese Michel wird wissenschaftlich aufgearbeitet

Würzburg · Die Historikerin Petra Ney-Hellmuth hat die erste wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschehnisse rund um die 1976 nach etlichen Exorzismen gestorbenen Studentin Anneliese Michel vorgelegt.

Für die Doktorarbeit konnte sie dabei erstmals auf die bisher gesperrten Akten der Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei zurückgreifen, wie Ney-Hellmuth am Freitag bei der Präsentation in Würzburg sagte. Außerdem erhielt die 36-Jährige Einsicht in Dokumente des damals zuständigen Bischofs Josef Stangl aus dem Würzburger Diözesanarchiv.

Ney-Hellmuth schildert in ihrer Arbeit, wie Teufelsaustreibungen zum Kernbestandteil eines konservativ-traditionalistischen Katholizismus nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 bis 1965) gehörten. Auch das Elternhaus von Anneliese Michel gehörte diesem Umfeld an. Nach dem Tod der Pädagogikstudentin seien die Tonbandaufnahmen der Sitzungen kursiert als Beleg gegen die Neuerungen in der Kirche, da der "Teufel" sie in den Äußerungen Annelieses ablehne.

Michel, die an Epilepsie erkrankt war, suchte ihr Heil in einem Exorzismus. Dieser wurde vom damaligen Würzburger Bischof genehmigt und von zwei Priestern durchgeführt. Die Familie hatte ärztliche Hilfe verweigert und auf das kirchliche Ritual vertraut. Die Priester und Eltern wurden wegen unterlassener Hilfeleistung zu Bewährungsstrafen verurteilten. Stangl trat vom Amt des Bischofs zurück. Der Fall Anneliese Michel lieferte Stoff für mehrere Spielfilme.

Die Historikerin fand in Leserbriefen sowie in Schreiben an den Würzburger Bischof Belege dafür, dass vor allem Kirchenkritikern und liberale Katholiken die "fortschrittliche Erklärung" Stangls nach dem Exorzismus nicht weit genug gingen. Sie glaubten nicht, dass Auswüchse wie die in Klingenberg nicht weiter möglich seien. Stangl hatte angeregt, biblische Begriffe über das Böse vor dem jeweiligen zeitlichen und kulturellen Hintergrund zu interpretieren.

Auch zur Verurteilung der beiden Priester und der Eltern von Anneliese Michel durfte das Ordinariat auf Wunsch der Kirchenführung nicht mehr Stellung nehmen. Viele Menschen hätten Stangl durch seine Beauftragung eine Teilschuld gegeben. Gleichzeitig monierten Exorzismus-Befürworter, der Bischof habe sich aus der Verantwortung gestohlen und die verurteilten Priester ihrem Schicksal überlassen und so zum Sündenbock gemacht, so Ney-Hellmuth.

(KNA)
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