EKD-Ratsvorsitzender Bedford-Strohm "Die Kirche braucht geistliche Erneuerung"

Düsseldorf · Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, bilanziert das Jubiläumsjahr und spricht über ein Abendmahl mit Kardinal Marx.

 EKD-Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm.

EKD-Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm.

Foto: Bretz

Hinter Heinrich Bedford-Strohm (57) liegt ein großes Jahr. Der bayerische Landesbischof und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland war fast pausenlos unterwegs. Mit dem Kirchentag in Berlin und der Weltausstellung in Wittenberg hat er die Höhepunkte eines großen Jubiläums gefeiert: Vor 500 Jahren begann die Reformation. Inspiriert sei er immer noch, sagt Bedford-Strohm - und so wirkt er auch beim Besuch der Redaktion. Dafür hat er sich auf der Fahrt nach Bonn Zeit genommen, wo ab Samstag die EKD-Synode tagt.

Wie rettet man den Schwung aus dem Reformationsjubiläum in die Zukunft?

Bedford-Strohm Damit beschäftigen wir uns auf der EKD-Synode. Wir haben in diesem Jahr mit neuen Veranstaltungsformen experimentiert. Zum Beispiel gab es im Sommer ein Jugendcamp mit 20.000 Jugendlichen in Wittenberg. Da überlegen wir, wie wir das weiterhin anbieten können. Und auch in der Ökumene haben wir eine große Vertrauensbasis geschaffen.

Muss die Kirche nicht noch stärker aus den Kirchenmauern heraustreten?

Bedford-Strohm Ja, denn Veranstaltungen wie das Luther-Pop-Oratorium mit 30.000 Chorsängern oder die vielen Gottesdienste auf den Marktplätzen überall im Land waren besonders erfolgreich. Das wollen wir auch in Zukunft schaffen. Wir wollen mitten ins Leben, wir wollen nicht darauf warten, dass die Leute zu uns kommen. Auch wenn wir sie natürlich gerne in unseren Kirchen begrüßen - es sind besondere, spirituelle Orte.

Brauchen wir eine neue Mission?

Bedford-Strohm Wir brauchen eine geistliche Erneuerung unserer Kirche. Strukturdebatten im Hinblick auf die Verteilung von Geld sind zwar notwendig, aber damit bewältigen wir nicht die Hauptherausforderung. Wir müssen unseren Glauben neu entdecken und selbst begeistert sein von der Botschaft der Bibel. Ich bin überzeugt, dass die Bibel auch Antworten für säkulare Menschen bereithält. Dankbar leben, vergeben lernen, auf soziale Beziehungen achten - das ist für alle Menschen wichtig.

Aber passiert derzeit nicht gerade genau das Gegenteil? Die Gesellschaft verroht doch.

Bedford-Strohm Natürlich erleben wir Phänomene wie Nationalismus, wie Rassismus und Hetze und Hasskommentare im Netz. Aber wir müssen uns gerade da mit unserem positiven Menschenbild in die Gesellschaft einbringen.

Müssen Sie noch öffentlichkeitswirksamer sprechen?

Bedford-Strohm Das Wichtigste ist, dass wir selbst ausstrahlen, wovon wir sprechen. Wir müssen selbst die Liebe ausstrahlen, von der wir die ganze Zeit reden. Da gibt es noch viel Luft nach oben. Ich wünsche mir Menschen, die zu ihrem Glauben stehen und öffentlich ihre Begeisterung ausstrahlen. Eine geistliche Erneuerung kann man nicht von oben verordnen oder nach einem Zehn-Punkte-Katalog abarbeiten. Das ist etwas, das sich ausbreiten muss und damit auch eine Sache des Priestertums aller Gläubigen ist.

Die EKD hat viel investiert ins Reformationsjubiläum. Wie viel Geld müssen Sie nachträglich zuschießen?

Bedford-Strohm Das wird ein Zwischenbericht auf der Synode zeigen. Klar ist, dass die EKD dafür Mittel zurückgestellt hat. Das Jubiläum war ein Experiment, wir hatten keine Erfahrungswerte. Der Zuschussbedarf wird aus dem EKD-Haushalt gedeckt, nicht von den Landeskirchen.

Hat es überhaupt Sinn, den Erfolg eines solchen Jubiläums an Teilnehmerzahlen zu messen?

Bedford-Strohm Die frühe Bekanntgabe erwarteter hoher Teilnehmerzahlen für einige der Großveranstaltungen war im Rückblick ein Fehler. Es war einfach der Versuch, viele Menschen einzuladen. Man müsste beim nächsten Mal sicherlich vorsichtiger mit der Nennung von Zahlen sein. Jetzt ist es so, dass schon eine Zahl von 100.000 Besuchern als Defizitzahl wahrgenommen wird, obwohl sie ja sehr groß ist. Aber ganz jenseits dieser Zahlendiskussionen war der Reformationssommer in Wittenberg aus meiner Sicht in jedem Fall ein Erfolg. Die Begeisterung der vielen Tausend Jugendlichen ist nur einer von vielen Gründen dafür.

Wann gibt es nicht nur eine Ökumene der Herzen, sondern eine der Taten?

Bedford-Strohm Unser Konzept ist die sichtbare Einheit in versöhnter Verschiedenheit. Wir müssen sehen, welche Unterschiede Teil des Reichtums der Konfessionen sind und welche kirchentrennend sind. Ich sehne mich nach einem gemeinsamen Abendmahl. Und ich möchte das gerne noch erleben. Doch diese Fragen können nicht allein in Deutschland geregelt werden. Man darf aber auch nicht immer alles daran festmachen. Dass das Vertrauen so stark gewachsen ist, ist ein riesiges Kapital für die Zukunft.

Warum wagen Sie es nicht einfach und feiern mit Kardinal Marx Abendmahl?

Bedford-Strohm Öffentliche Personen stehen für die ganze Kirche. Wir würden genau das Gegenteil erreichen und alle ökumenischen Prozesse stoppen. Damit würden wir all diejenigen brüskieren, für die das Problem noch nicht gelöst ist.

Wäre das nicht gerade lutherisch?

Bedford-Strohm Lutherisch ist nicht, etwas zu tun, was das Gegenteil von dem erreicht, was man eigentlich erreichen will.

Luther hat aber auch das Gegenteil dessen erreicht, was er eigentlich wollte: die Gründung einer neuen Kirche.

Bedford-Strohm Diese historische Entwicklung, die zur Trennung der Kirchen geführt hat, ist aus der Rückschau zu bedauern. Ich wünsche mir heute einen Umgang miteinander, der die religiösen Impulse der Reformation für die Kirche insgesamt fruchtbar machen kann.

Vor dem Europäischen Gerichtshof wird der Fall einer konfessionslosen Rassismusforscherin verhandelt, die sich bei der Diakonie beworben hatte. Ist es zeitgemäß, dass der Taufschein eine Berufsqualifikation ist?

Bedford-Strohm Wo evangelisch draufsteht, sollte auch evangelisch drin sein. Vor diesem Hintergrund finde ich das nachvollziehbar. Denn es ging darum, Stellungnahmen aus christlicher Sicht zu erarbeiten. Aber nicht jede Tätigkeit verlangt zwingend die Kirchenmitgliedschaft.

Welche Wünsche haben Sie an die neue Bundesregierung?

Bedford-Strohm Ich hätte gerne den "Eine-Welt-TÜV" für Regierungsentscheidungen. Die Frage nach weltweiter Gerechtigkeit sollten wir nicht erst dann stellen, wenn hier Flüchtlinge vor der Tür stehen. Sondern wir müssen uns schon vorher klarmachen, ob Entscheidungen hierzulande - etwa zu den wirtschaftlichen Bedingungen des globalen Handels - auf Kosten derer gehen, die sowieso schon zu den Schwächsten gehören. Wenn durch unsere Entscheidungen Menschen anderswo ihre Perspektive geraubt wird, ist nachträgliche Entwicklungshilfe keine Lösung.

Während der Synode findet in Bonn parallel der Weltklimagipfel statt ...

Bedford-Strohm ... und der Klimawandel ist für uns auch ein zentrales Thema. Die Maßnahmen zur Begrenzung der Erderwärmung sollten politische Priorität in der neuen Regierung haben. Wir haben schon 1990 bei einer Weltversammlung der Kirchen in Seoul für mehr Klimagerechtigkeit geworben. Durch unser weltweites Netzwerk sehen wir auch in unseren Partnerländern, wie stark gerade Entwicklungsländer unter zunehmenden Wetterextremen leiden.

Die Grünen kämpfen derzeit beim Thema Familiennachzug auf verlorenem Posten.

Bedford-Strohm Für uns ist der Familiennachzug wichtig für eine gute Integration in Deutschland. Deswegen setzen wir uns dafür ein. Ich versuche das nicht zuletzt dadurch, dass ich konkrete Fälle anspreche. Wenn Menschen sich in solchen Fällen persönlich an mich wenden, werden die Schicksale hinter den Zahlen für mich sehr konkret. Bei allem Verhandeln: Es geht immer um echte Menschen, und damit muss man verantwortlich umgehen.

Sie sagen immer: Wer fromm ist, muss auch politisch sein. Könnten Sie sich auch irgendwann ein politisches Amt vorstellen?

Bedford-Strohm Diese Frage stelle ich mir nicht. Ich bin Bischof aus Leidenschaft.

Michael Bröcker und Franziska Hein führten das Gespräch.

(brö, heif)
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