Karlrobert Kreiten Der Pianist, den die Nazis hinrichteten

Düsseldorf · Vor 100 Jahren wurde Karlrobert Kreiten geboren. Der Musiker lebte in Düsseldorf und galt als Hochbegabter. Eine Denunziation brachte ihn vor den Volksgerichtshof, der ihn zum Tod verurteilte.

Er war gut vorbereitet, so wie immer, wenn er einen Klavierabend gab, er war zwar ein gewaltiges Talent, doch kein Überflieger. Er liebte es, gründlich zu sein, Musikwerke bis in die letzte Stelle hinterm Komma zu beherrschen und vor allem ihren Sinn, ihr Geheimnis und ihre Botschaft zu ergründen. Diese Hingabe, die sich mit Kompetenz und Stilgefühl paarte, hatte schon der Klaviertitan Claudio Arrau bemerkt, der für seinen Schüler euphorische Worte fand: "Er war eines der größten Klaviertalente, die mir begegnet sind. Wäre er nicht durch das Nazi-Regime kurz vor Kriegsende hingerichtet worden, so hätte er, ohne Zweifel, seinen Platz als einer der größten deutschen Pianisten eingenommen. Er bildete die verlorene Generation, die fähig gewesen wäre, in der Reihe nach Wilhelm Kempff und Walter Gieseking zu folgen."

Aber Karlrobert Kreitens ausgiebige Vorbereitung sollte ihm an diesem 3. Mai 1943 nicht mehr von Nutzen sein. Am Abend sollte er in Heidelberg einen Klavierabend geben, doch in den frühen Morgenstunden verhaftete ihn die Gestapo. Sie kam wie ein Überfallkommando, und ihre Vorhaltungen waren leider unwiderlegbar: Er hatte einer Freundin seiner Mutter, einer gewissen Ellen Ott-Monecke, äußerst realistische Prognosen über den Kriegsverlauf abgegeben und dabei den "Führer" Adolf Hitler als einen "Wahnsinnigen" bezeichnet.

Ott-Monecke denunzierte Kreiten gemeinsam mit einer anderen Nazi-Megäre, der Sopranistin Tiny Debüser. Vier Monate später, am 3. September, wurde Kreiten vom Volksgerichtshof Berlin unter Vorsitz des berüchtigten Roland Freisler wegen "Wehrkraftzersetzung" zum Tod verurteilt. Der Richterspruch wurde vier Tage später in Berlin zu Beginn der "Plötzenseer Blutnächte" vollstreckt: Der Henker führte Kreiten zum Galgen, er wurde gehängt.

Sein Elternhaus stand in Düsseldorf

In diesen Tagen reist ein junger Pianist, Florian Heinisch, durch Deutschland und führt zwischen München, Düsseldorf und Berlin unter dem Motto "Das ungespielte Konzert" in kleineren Sälen genau das Programm auf, das Kreiten für jenen 3. Mai in Heidelberg annonciert hatte: Bach/Busoni, Mozart, Beethovens "Appassionata", sechs Chopin-Etüden, schließlich Liszts "Spanische Rhapsodie". Solche Programme waren typisch für Kreiten: Seine Weltsicht fußte auf den Klassikern, verschmähte aber die virtuose Dimension nicht. Er interessierte sich auch für die Musik Strawinskys und Prokofieffs, das war im damaligen Deutschland fast riskant.

Das aber hatte der am 26. Juni 1916 in Bonn geborene Kreiten von Kindesarmen an gelernt: dass man vielseitig sein muss. Dass einem nichts zufliegt. Dass man üben muss. Sein Elternhaus stand indes in Düsseldorf, wo die Familie bald wohnte. Der Vater lehrte am angesehenen Buths-Neitzel-Konservatorium, daheim gab es Hauskonzerte, die Kreitens waren gesellige Leute, doch Karlrobert war eher still, ernsthaft. Sein alter Freund, der Düsseldorfer Rechtsanwalt Ewald Hilger, erinnert sich: "Ich habe an ihm immer seine Ernsthaftigkeit bewundert. Er war nun gar kein Stubenhocker, man konnte mit ihm wirklich Spaß haben. Aber seine Musik ging ihm über alles; da wusste er schon ganz früh, wohin es gehen sollte."

Der Krieg desillusionierte ihn

Die Reise ging dann wunderbar weiter, Kreiten war wie ein Stern, der aufstieg. Im Alter von zehn Jahren debütierte er mit Mozart und Schubert in der Düsseldorfer Tonhalle. Bald gewann er angesehene Preise. Die wenigen Tonbeispiele, die bekannt sind, zeigen eine verblüffende Mischung aus singendem Ton und Temperament, erstklassiger Technik und hochwertigem Stilgefühl. Arraus Urteil möchte man postum in jedem Takt unterschreiben. Und ausgerechnet der "Völkische Beobachter" wusste bereits im Jahr 1940: "Sein Spiel, technisch überlegen und männlich gestrafft, ist klar auf inneren Gehalt der Meisterwerke ausgerichtet."

Kreiten hat sich auch mit dem inneren Gehalt des Nazi-Staates beschäftigt, den er als wurmstichig erkannte. Und der Krieg desillusionierte den Musiker, der zuvor noch die NSDAP-Mitgliedschaft beantragt hatte, von diesem Plan jedoch kaum noch überzeugt war: Das Papier hätte der Karriereförderung gedient. An jenem Heidelberger Morgen half ihm nichts mehr. Sogar Furtwängler wandte sich für Kreiten an Goebbels - vergeblich. Freislers Urteil fiel gnadenlos aus: "Ein solcher Mann ist in unserem jetzigen Ringen - trotz aller beruflicher Leistungen als Künstler - eine Gefahr für unseren Sieg. Er muss zum Tode verurteilt werden. Denn unser Volk will stark und einig und ungestört unserem Siege entgegenmarschieren."

Kreitens Schicksal war einer von zahllosen blutigen Flecken, die die Nazis über die Landkarte Deutschlands spritzten. Damals gab es lautloses Entsetzen bei Kreitens Anhängern, es gab aber auch strammen Jubel. Zum Beispiel jenen Text eines 30-jährigen Journalisten: Im Berliner "12 Uhr Blatt" lobte er, "wie unnachsichtig mit einem Künstler verfahren wird, der statt Glauben Zweifel, statt Zuversicht Verleumdung und statt Haltung Verzweiflung stiftet". Der Verfasser war Werner Höfer, der später als Erfinder des "Internationalen Frühschoppens" im Ersten berühmt wurde. Seine Autorschaft war schon früh bekannt gewesen, doch erst 1987 wurde seine Verstrickung vollständig enttarnt. Darüber stürzte Höfer.

(w.g.)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort