Christian Führer war herausragende Figur der Wende 1989 Der Pfarrer mit der Jeansweste ist tot

Leipzig · Er war ein unabhängiger Geist und einer der herausragendsten Protagonisten der Wende von 1989: Der Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche, Christian Führer, galt als Mitinitiator der machtvollen Proteste, die schließlich das Ende der DDR besiegelten. Wenige Monate vor dem 25. Jubiläum der friedlichen Revolution ist Führer am Montag im Alter von 71 Jahren an den Folgen einer schweren Krankheit gestorben.

 Christian Führer neben dem neuen Autobahnhinweisschild, das für Leipzig als Ort der Friedlichen Revolution werben soll.

Christian Führer neben dem neuen Autobahnhinweisschild, das für Leipzig als Ort der Friedlichen Revolution werben soll.

Foto: dpa, hsc htf cul jhe

Als Schlüsselereignis der Wende gilt der 9. Oktober 1989. Damals gingen in Leipzig rund 70.000 Menschen - so viel wie nie zuvor - friedlich auf die Straße und forderten eine demokratische Erneuerung. Armee und Polizei marschierten auf und warteten auf ihren Einsatz.

Doch die befürchteten blutigen Auseinandersetzungen blieben aus. Mit den Rufen "Keine Gewalt" und "Wir sind das Volk" stellten sich die Demonstranten den Sicherheitskräften entgegen, die auf diese Massen nicht vorbereitet waren.

Vier Wochen später fiel die Mauer, nachdem auch in anderen Städten immer mehr Menschen auf die Straße gegangen waren. Wenn sich Christian Führer später daran erinnerte, dann sprach er oft von einem "Wunder". Erst in der Nacht sei er erleichtert gewesen, dass doch "nicht getreten, geschlagen oder gelyncht" wurde, bekannte er.

Führer wurde 1943 in Leipzig geboren. In den 1960er Jahren studierte er an der damaligen Karl-Marx-Universität evangelische Theologie, anschließend arbeitete er als Pfarrer unter anderem in Colditz. Im Jahr 1980 wurde Führer an die Leipziger Nikolaikirche berufen, die später zu einem zentralen Ort der friedlichen Revolution werden sollte.

1982 war Führer, zu dessen Markenzeichen die Jeansweste gehörte, Mitbegründer der wöchentlichen Friedensgebete. Sie wurden mit den Jahren immer mehr zum Treffpunkt all jener, die mit und in der DDR unzufrieden waren.

Führer nahm sich der Ausreisewilligen genauso an wie er auch jenen eine Plattform gab, die ausriefen: Wir bleiben hier. Selbst der Anwesenheit von Stasi-Spitzeln in der Nikolaikirche konnte Führer noch etwas abgewinnen. Er habe es immer auch "positiv gesehen, dass die zahlreichen Stasi-Leute Montag für Montag die Seligpreisungen der Bergpredigt hörten", sagte er einmal.

Doch auch die Stasi konnte den Lauf der Geschichte nicht aufhalten. Die Montagsdemonstrationen im Anschluss an die Friedensgebete leiteten schließlich die friedliche Revolution und den Niedergang der DDR ein.

Auch nach der Wende mischte sich der Pfarrer in politische Debatten ein und sparte nicht mit Kritik am Wirtschafts- und Sozialsystem der Bundesrepublik. Er engagierte sich gegen Rechtsextremismus und beteiligte sich an den wiederbelebten Montagsdemonstrationen, die sich mal gegen den Arbeitsplatzabbau, mal gegen den Irak-Krieg oder gegen die Hartz-IV-Reformen richteten.

Zugleich warnte er aber stets vor einer Instrumentalisierung der Montagsdemos durch Parteien oder Wahlkämpfer. 2008 ging Führer als Nikolai-Pfarrer in den Ruhestand. In letzter Zeit hatte sich der Vater von vier Kindern weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, nachdem im vergangenen Jahr laut Medienberichten eine schwere Lungenkrankheit bei ihm diagnostiziert worden war.

In der vergangene Woche wurde Führer für seine Verdienste um die Leipziger Montagsdemonstrationen mit dem Deutschen Nationalpreis geehrt. Die Auszeichnung nahm seine Tochter für ihn entgegen. Vertreter der Stadt, des Freistaates Sachsen und Parteien jeglicher Couleur würdigten Führer als herausragende Persönlichkeit und Wegbereiter der friedlichen Revolution.

"Offen für alle": Diese Botschaft, die der Nikolaipfarrer zu DDR-Zeiten verbreitete und die bis heute alle Menschen in die Nikolaikirche einlädt, wird bleiben.

(DEU/AFP)
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