Gewalttätiges CIA-Opfer Der bizarre Fall des Khaled el Masri

Frankfurt/M. (RP). Der US-Geheimdienst CIA verschleppte ihn nach Afghanistan, weil er zufällig den Namen eines der Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001 trägt. Bis heute wartet Khaled el Masri auf eine Entschuldigung der Amerikaner – und fällt wiederholt durch Straftaten auf.

El Masri vor Gericht
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Frankfurt/M. (RP). Der US-Geheimdienst CIA verschleppte ihn nach Afghanistan, weil er zufällig den Namen eines der Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001 trägt. Bis heute wartet Khaled el Masri auf eine Entschuldigung der Amerikaner — und fällt wiederholt durch Straftaten auf.

Die Geschichte des Khaled el Masri und seiner Entführung klingt wie das Drehbuch zu einem Agenten-Thriller — so verworren, dass zunächst erhebliche Zweifel an ihrem Wahrheitsgehalt bestanden. Doch längst gehen auch deutsche Ermittler davon aus, dass der Deutsch-Libanese Ende 2003 tatsächlich von CIA-Agenten nach Afghanistan verschleppt und dort fünf Monate gefangengehalten wurde. Heute gilt el Masri als traumatisiert, mehrfach fiel er wegen Straftaten auf. Gestern wurde er vom Landgericht Memmingen wegen eines Angriffs auf den Neu-Ulmer Oberbürgermeister Gerold Noerenberg (CSU) zu zwei Jahren Haft veruteilt.

El Masris Martyrium beginnt an Silvester 2003. Der damals 40-Jährige ist in einem Reisebus nach Mazedonien unterwegs. Sein Anwalt Manfred Gnjidic wird später dem Nachrichtenmagazin "Stern" erzählen, dass el Masri dort nach neuen Absatzmöglichkeiten für den Autohandel suchte. Auch habe sich der Deutsch-Libanese zu diesem Zeitpunkt mit seiner Frau gestritten. Die Reise habe er als willkommene Abwechslung begriffen.

Doch plötzlich kommt alles anders: Grenzpolizisten holen ihn aus dem Bus, ist er doch ins Visier einer internationalen Terrorfahndung geraten. Offenbar ist ihm sein Name zum Verhängnis geworden, denn er lautet genau wie der eines der mutmaßlichen Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001. 23 Tage lang wird el Masri in einem Hotel in Skopje verhört, misshandelt und anschließend der CIA überstellt. Die fliegt ihn nach Afghanistan, wo er 126 Tage in einem Kellerverlies festgehalten wird. El Masri berichtet von Faustschlägen, dem Verbiegen der Arme, bis sich die Knochen gerade noch im Gelenk halten. Er habe sich vor seinen Wächtern ausziehen müssen, sei sexuell gedemütigt worden. Die Zelle im afghanischen Geheimgefängnis "Salt Pit" beschreibt er als verdreckt. Trotz bitterkalter Nächte habe er nur eine dünne Decke bekommen. Seine Frau im bayerischen Neu-Ulm weiß zu diesem Zeitpunkt nichts über den Verbleib ihres Mannes.

Irgendwann tritt el Masri in den Hungerstreik. Zu diesem Zeitpunkt tritt erstmals auch ein mysteriöser deutscher Ermittler mit dem Decknamen "Sam" in Erscheinung. Dieser ist es schließlich auch, der den Gefangenen Ende Mai 2004 in einem Wald nahe der albanischen Grenze seinem Schicksal überlässt. Ein Grenzer greift el Masri auf. "Ich habe ihm erzählt, was mit mir passiert ist. Daraufhin hat er mich ausgelacht und hat zu mir gesagt, ich soll das nur keinem erzählen, sonst würden sie mich auslachen", sagt er Anfang 2005 im ZDF.

Anstatt auf den Grenzer zu hören, vertraut sich der Freigelassene Rechtsanwalt Gnjidic an. Der staunt nicht schlecht, als ihm el Masri seine Geschichte auftischt. Doch anstatt dem Mann die Tür zu weisen, wendet sich Gnjidic an das Auswärtige Amt und das Kanzleramt. Die Öffentlichkeit erfährt erst 2005 von dem Fall, also rund ein Jahr nach der Entführung. Zu diesem Zeitpunkt hat sich die Münchner Staatsanwaltschaft in die Ermittlungen eingeschaltet.

Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) soll erst nach el Masris Freilassung vom damaligen US-Botschafter Daniel Coats unter der Bedingung der Verschwiegenheit darüber unterrichtet worden sein, dass die CIA den Falschen ergriffen hatte. Auch andere Behörden wollen lange nichts von dem Fall gewusst haben — eine Version, die sich später als falsch erweist. Im Juni 2006 korrigiert der Bundesnachrichtendienst frühere Angaben: Ein Mitarbeiter sei doch von Anfang an über den Fall informiert gewesen, habe sein Wissen aber nicht weitergegeben. Wann die deutsche Botschaft in Skopje über den Fall informiert wird, ist unklar. Auf eine Entschuldigung wartet Khaled el Masri vergebens. Seit der Rückkehr nach Deutschland hat er es nicht geschafft, sich in ein normales Leben einzufinden. Vielmehr wird er wiederholt straffällig: So zündete er einen Metro-Markt an, weil er nach eigener Wahrnehmung von Angestellten ungerecht behandelt worden war. Außerdem verprügelte er einen Dekra-Prüfer und bespuckte eine Verkäuferin.

Den vorläufigen Höhepunkt erreicht das Trauerspiel el Masri aber am 11. September 2009. Laut Anklage betritt el Masri an diesem Tag mit drei seiner sechs Kinder das Rathaus von Neu-Ulm. Er will zu Oberbürgermeister Gerold Noerenberg vorgelassen werden. Das Rathauspersonal wiegelt ab. Ein Termin ist nicht sofort verfügbar. El Masri verlässt daraufhin das Amtsgebäude, stürmt allerdings wenig später wieder herein. Im Büro des OB greift er diesen sofort an, schlägt ihm mehrmals auf den Kopf, bis der CDU-Politiker am Boden liegt. Herbeigeeilte Rathausmitarbeiter halten el Masri davon ab, einen schweren Stuhl auf den verletzten Noerenberg zu schleudern.

Das Landgericht Memmingen verurteilte den heute 46-Jährigen wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung. El Masri habe eine Person, die ihm nichts getan habe, brutal angegriffen und erheblich verletzt, so die Begründung der Vorsitzenden Richterin Brigitte Grenzstein.

Verteidiger Gnjidic hatte die Einstellung des Verfahrens beantragt. Begründung: El Masri habe vom Staat nach der Verschleppung keine Hilfe bekommen, sein Recht durchzusetzen. Deswegen habe der Staat kein Recht, ihn zu bestrafen. "Wenn der Staat ihn alleine lässt, kann er nicht beanspruchen, ihn zu verfolgen", sagte Gnjidic.

Richterin Grenzstein wies die Argumentation der Verteidigung zurück. Die Attacke auf den OB sei zwar ohne die traumatisierende Entführung und Misshandlung durch den US-Geheimdienst nicht denkbar gewesen. Allerdings sei el Masri zur Tatzeit bereits auf Bewährung gewesen, weshalb eine neuerliche Bewährung nicht in Betracht komme. Es gebe keine günstige Sozialprognose oder Hinweise darauf, dass sich der 46-Jährige künftig an die Gesetze halten werde.

El Masri, der im gesamten Verhandlungsverlauf ruhig geblieben war, reagierte fassungslos auf das Urteil. In schwer verständlichen Worten unterstellte er, dass er damit gezwungen werden solle, mit den Geheimdiensten zusammenzuarbeiten. Anwalt Gnjidic erklärte, el Masri glaube seit Jahren, der Geheimdienst verfolge ihn und wolle ihn brechen oder rekrutieren.

(maxi/apn)
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