Organisierter Betrug in Millionenhöhe Groß-Razzia bei Pflegedienst in Berlin

Berlin · 130 Polizisten und Staatsanwälte haben am Donnerstagmorgen Büros einer Pflegefirma und Wohnungen durchsucht. Die Razzia in Berlin und Brandenburg richtete sich gegen organisierten Betrug bei Pflegeabrechnungen.

 Ein Polizist nimmt im Büro einer Pflegefirma in Berlin die Suche auf.

Ein Polizist nimmt im Büro einer Pflegefirma in Berlin die Suche auf.

Foto: dpa, paz fux

Die 41-jährige Inhaberin des Pflegediensts aus dem Bezirk Spandau sei bei der Aktion festgenommen worden, teilte die Polizei in der Hauptstadt mit. Sie gelte als Hauptbeschuldigte. Zudem richte sich der Verdacht gegen sieben Angestellte, darunter deren Mutter und Schwester. Auch mindestens 31 Patienten sollen nach den bisherigen Ermittlungen involviert und zum Teil an den Gewinnen beteiligt worden sein

Alle Beteiligten sind nach Angaben eines Polizeisprechers russischstämmig oder stammen aus anderen früheren Sowjetrepubliken. Die Razzia erfolgte nur wenige Tagen, nachdem bekannt geworden war, dass das Bundeskriminalamt in einem Bericht vor systematischem bundesweitem kriminellem Abrechnungsbetrug durch ambulante Pflegedienste warnte, die von gebürtigen Russen oder Bürgern anderer früherer Sowjetrepubliken betrieben werden.

Die Berliner Ermittlungen von Landeskriminalamt (LKA) und Staatsanwaltschaft liefen nach Angaben der Polizei indes schon seit einem Jahr. Demnach besteht der Verdacht, dass die Beteiligten über Jahre hinweg Pflegeleistungen mit Kranken- und Pflegekassen oder Sozialämtern abrechneten, die "nicht oder nur teilweise erbracht wurden". Nach derzeitigem Ermittlungsstand sei ein Schaden von fast einer Million Euro entstanden.

Der Pflegedienst habe seinen Kunden "praktisch Regieanweisungen gegeben, wie man bei einer Kontrolle die Pflegebedürftigkeit vortäuscht", sagte ein Polizeisprecher. Zum Teil hätten auch die Patienten davon profitiert, denen mitunter aus den Auszahlungen der Pflegeversicherung "ein paar hundert Euro im Monat zurückgezahlt" worden seien. In einem Fall sei ein Patient als "stark mobilitätseingeschränkt" registriert gewesen, ergänzte er. "Es wurde allerdings festgestellt, dass er mit dem Fahrrad unterwegs war."

An der Razzia waren 115 Polizisten sowie 16 Mitarbeiter von Bezirksämtern und Berliner Gesundheitsbehörde beteiligt. Sie durchsuchten den Pflegedienst sowie Wohnungen von Mitarbeitern und Patienten in Berlin und Brandenburg. Insgesamt waren es etwa 30 Objekte. Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) erklärte, Betrug an der Pflegeversicherung sei "ein Angriff auf unser Sozialsystem und damit uns alle". "Dass anscheinend sogar Patienten bei dem Betrug mitmachen, ist eine besondere Qualität", ergänzte er.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz forderte die Politik und Sicherheitsbehörden zu weiteren intensiven Ermittlungen auf. "Ohne Ermittlungsdruck in den Ländern gegen mafiöse Strukturen in der Pflege wird es nicht gelingen, den bundesweiten Sumpf trockenzulegen", erklärte Eugen Brysch vom Vorstand der Patientenschutzorganisation. Nötig seien Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Spezialermittlungsgruppen.

In Hamburg kündigte die Landesgesundheitsbehörde am Donnerstag die Gründung eines neuen Einsatzteams an, das systematisch Rechnungen, Leistungsnachweise sowie Dienst- und Tourenpläne von ambulanten Pflegediensten auf etwaige Unregelmäßigkeiten prüfen und gegebenenfalls Strafanzeige stellen soll. Es gehe um die Aufdeckung von Betrug und Abschreckung im Vorfeld, erklärte Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD). Das Einsatzteam soll den Angaben zufolge aus fünf Abrechnungsprüfer bestehen und von allen Hamburger Bezirken gemeinsam betrieben werden. Es wird derzeit zusammengestellt.

(AFP)
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