15. Jahrestag des Brandanschlags von Solingen Alle vier Täter heute wieder auf freiem Fuß

Solingen (RPO). 15 Jahre ist es her, dass bei dem fremdenfeindlichen Brandanschlag in Solingen zwei türkische Frauen und drei Mädchen ums Leben kamen. In ihrem wieder aufgebauten, streng gesicherten Haus versucht die betroffene Familie Genc ein normales Leben zu führen. Die vier Täter sind mittlerweile alle wieder auf freiem Fuß - und leben zum Teil ebenfalls in Solingen.

Unvergessen sind die Bilder des ausgebrannten Fachwerkhauses der Familie Genc in Solingen, und unvergessen ist deren Schicksal: Bei einem der schlimmsten fremdenfeindlichen Anschläge in der Geschichte der Bundesrepublik starben vor 15 Jahren zwei türkischstämmige Frauen und drei Mädchen.

Anhänger der Skinheadszene hatten das Haus in der Unteren Wernerstraße am 29. Mai 1993 in Brand gesteckt. Dennoch hat sich Mevlüde Genc, die fast ihre gesamte Familie verlor, unermüdlich für Versöhnung eingesetzt. Mit dem Genc-Preis für friedliches Miteinander ist ihr in diesem Jahr erstmals eine Auszeichnung gewidmet.

"Diese Frau hat unglaubliches Leid erlitten und doch soviel Stärke gezeigt, davor habe ich großen Respekt", sagt Ysar Bilgin, Vorsitzender der türkisch-deutschen Gesundheitsstiftung, der die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung ins Leben gerufen hat. Preisträger sind Kölns Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU) und Kamil Kaplan, der bei der verheerenden Brandkatastrophe von Ludwigshafen im Februar mehrere Angehörige verlor.

Rache oder Vergeltung, daran habe Mevlüde Genc trotz ihres schlimmen Schicksalsschlag nie gedacht, sagt Bilgin. Seit seinem Vorhaben, einen Preis im Namen der Familie zu stiften, hat der Mediziner lange Gespräche mit der 65-Jährigen geführt. Auf Gedenkveranstaltungen rief Mevlüde Genc immer wieder zu Toleranz und Versöhnung auf: "Das Wort Fremde sollte gestrichen werden", sagte sie.

Leben von Katastrophe überschattet

Dabei ist das Leben der Familie auch 15 Jahre nach dem Brandanschlag völlig von den fürchterlichen Ereignissen überschattet. Die 65-Jährige und ihr Ehemann verloren zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte zwischen vier und 27 Jahren. Ihr Sohn Bekir überlebte nur knapp und mit schwersten Verletzungen. Seine Narben erinnern noch heute an das Verbrechen der vier Skinheads, die 1995 wegen fünffachen Mordes, 14-fachen Mordversuchs und besonders schwerer Brandstiftung zu Haftstrafen zwischen zehn und 15 Jahren verurteilt wurden.

"Das erdrückende Maß an Schuld, die kaum zu bemessende Dimension der Tat und das unsagbare Leid für die Angehörigen der Opfer sind nur durch die Höchststrafen zu sühnen", erklärte der Richter des Düsseldorfer Oberlandesgerichts in seiner fast vierstündigen Urteilsbegründung.

Die 160.000-Einwohner Stadt Solingen war 1993 zum Tatort eines Anschlages gegen Ausländer geworden, die weltweit für Entsetzen sorgte. Inzwischen sind die Brandstifter, zur Tatzeit zwischen 16 und 24 Jahre alt, längst wieder auf freiem Fuß und sollen laut dem WDR auch zum Teil noch in Solingen wohnen. Auch die Überlebenden der Familie haben die Stadt im Bergischen Land nie verlassen.

Die Brandruine des Hauses wurde abgerissen, mit Hilfe von Versicherungs- und Spendensummen baute sich die Familie Genc ein neues, streng gesichertes Heim. Bekir Genc ist inzwischen verheiratet und bei der Stadt angestellt. In der Unteren Wernerstraße hält ein Gedenkstein die Erinnerung an die Opfer des Verbrechens wach: "An dieser Stelle starben als Opfer eines rassistischen Brandanschlags Gürsün Ince, Hatice Henk, Gülüstan Öztürk, Hülya Genc und Saime Genc."

Kampf gegen Rechts nicht vorbei

Doch auch 15 Jahre nach dem Brandanschlag von Solingen ist der Kampf gegen Rechts längst nicht vorbei: Rechtsextreme Straftaten mit so schrecklichem Ausmaß wie in Solingen habe es in Nordrhein-Westfalen seitdem zwar nicht mehr gegeben, sagte der Leiter der Verfassungsschutzabteilung Hartwig Möller. Immer noch würden aber 120 Menschen jährlich Opfer eines rechtsextremistischen Übergriffs. "Das ist nicht hinnehmbar", sagte er. Zunehmend versuchten die NPD oder rechtspopulistische Organisationen wie "Pro NRW" auch auf subtile Weise Vorurteile und Hass gegenüber ausländischen Mitbürgern zu schüren.

Auch der Mediziner und Genc-Preisstifter Ysar Bilgin weiß: "Wir können das Böse nie gänzlich eliminieren, aber doch zumindest bremsen." Gerade aus diesem Grund dürfe die Erinnerung, wie das Schicksal der Familie Genc, nie verblassen.

(ap)
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