3. Kinder- und Jugendsportbericht Mehr Schule, weniger Freizeit

Essen/Düsseldorf · Sport und Musik sind beliebte Freizeitbeschäftigungen der Deutschen. Doch in beiden Bereichen fehlt es an Nachwuchs. Viele Kinder haben keine Zeit mehr, nachmittags einen Verein zu besuchen, sagt der neue Jugendsportbericht. Das habe soziale und gesundheitliche Folgen.

 Die Zeit, die Kinder sich draußen bewegen und etwa mit Freunden Fußball spielen, hat abgenommen.

Die Zeit, die Kinder sich draußen bewegen und etwa mit Freunden Fußball spielen, hat abgenommen.

Foto: Julian Stratenschulte

Der Sport in Deutschland befindet sich in einer paradoxen Situation. Zu dieser Erkenntnis kommen die Autoren des Dritten Kinder- und Jugendsportberichts rund um den verantwortlichen Herausgeber Werner Schmidt. Denn obwohl sich im Kinder- und Jugendsport immer vielfältigere Angebote und Sportszenen entwickeln, bewegen sich junge Leute heute weniger als je zuvor.

"Während Kinder heute sechs oder sieben Stunden am Tag nur sitzen, bewegen sie sich weniger als 30 Minuten", erklärte Schmidt am Freitag in Essen. In der Villa Hügel überreichte der Professor für Sportwissenschaften seine Studie an Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Die Krupp-Stiftung hatte das Projekt finanziert.

Auch die Zeit, die Kinder sich draußen bewegen und etwa mit Freunden auf der Straße Fußball spielen, hat abgenommen. Mangelnde Bewegung ist ein gesundheitliches Risiko, das sagen die Autoren ganz klar.

Doch nicht nur im Privaten, sondern auch in der Schule treiben Jugendliche nicht ausreichend Sport. Im Curriculum hat Sportunterricht einen nachgeordneten Stellenwert. Derzeit haben Schüler in NRW drei Stunden Sport pro Woche. Gerade in der Grundschule unterrichten auch fachfremde Lehrer.

Der 604 Seiten starke Bericht kommt darüber hinaus zu dem Schluss, Heranwachsende seltener in Sportvereinen aktiv sind. Die Ursache dafür sind die wachsende Zahl an Ganztagsschulen und die hohen Anforderungen des achtjährigen Gymnasiums. Im Schuljahr 2002/2003 gab es deutschlandweit weniger als 5000 Schulen im Ganztagsbetrieb, 2013/2014 bereits mehr als 16 000.

Der Leiter des Deutschen Jugendinstituts, Thomas Rauschenbach, sprach von der "Institutionalisierung der Kindheit": "Kita und Schule sind die zentralen Orte des Aufwachsens." Rauschenbach gehört ebenfalls zu den Herausgebern des Berichts. Der Bundesinnenminister war hingegen der Auffassung, Zeit sei kein wesentliches Problem. Er sieht die Eltern in ihrer Vorbildfunktion in der Pflicht, Kinder für Sport und Musik zu interessieren.

Denn vieles, was für den Sport gilt, lässt sich auch über Musikunterricht sagen. Die wenigsten Kinder lernen heute ein Instrument, meist nur solche, deren Eltern die Zeit haben, die Kinder zu unterstützen und zu motivieren. So werde eine musikalische Ausbildung auch zu einer Frage der Chancengleichheit, meint Musikprofessor Wolfhagen Sobiray, der lange Zeit im Deutschen Musikrat tätig war.

Der Vorsitzende des Wettbewerbs "Jugend musiziert", Reinhard von Gutzeit, klagt über die Belastung der älteren Gymnasiasten, die unter dem G 8-Druck stehen. Er ist stets auf der Suche nach den besten Nachwuchsmusikern. "Die Kurve der Teilnehmerzahlen zeigt in den hohen Altersgruppen deutlich nach unten, die massive Beanspruchung durch den Schulalltag und die achtjährige Gymnasialzeit erschweren es den Jugendlichen, ihr eigenes Profil zu entwickeln."

Ähnliches beobachtet man im Leistungssport. Hier führen die Trainingszeiten für heranwachsende Leistungssportler von 30 bis 35 Wochenstunden zu einer hohen Belastung. Häufig ist das neben dem üblichen Schulbetrieb kaum zu schaffen, ohne dass schulische Noten darunter leiden.

Der Leiter des Jugendinstituts regte am Freitag an, Sport und Bildung nicht als getrennte Bereiche zu betrachten. Die Verfasser des Jugendsportberichts fordern deshalb, dass Schulen und Vereine mehr kooperieren. Sportvereine und Schulunterricht hätten in der Vergangenheit häufig nebeneinander existiert, jetzt muss die Vereinsarbeit sich in den schulischen Ganztag integrieren. Die Schulen verfügen über Geld und Sportstätten, die für die Vereine von Bedeutung sind. Vor allem sind in der Schule die Kinder zu finden, die Vereine gerne als Mitglieder gewinnen möchten, heißt es im Bericht. Fast drei Viertel der Ganztagsschulen arbeiten bereits mit lokalen Sportvereinen zusammen.

(RP)
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