Meerbusch Das Leid der Grundschulrektoren

Meerbusch · Das Leitungspersonal an NRW-Grundschulen fehlt seit Jahren. Manch ein Rektor betreut mehrere Standorte.

Als er das erste Mal befördert werden sollte, hat Marc Adams abgelehnt. Drei Jahre ist das her, der heute 39-Jährige war stellvertretender Schulleiter an einer Grundschule in Kaarst. An einer Stelle als Rektor, die ihm das Schulamt anbot, hatte Adams kein Interesse; zu viel Verwaltungsarbeit, zu wenig Geld.

Fast ein Jahr später fiel seine Entscheidung anders aus. Der Gedanke an den beruflichen Wechsel gefiel ihm plötzlich doch. Heute leitet er die Adam-Riese-Grundschule in Meerbusch-Büderich. Dass das Schulamt mehrfach um ihn warb und Adams zwischen mehreren Schulen wählen konnte, verdankt er einem unerfreulichen Umstand: 308 von 2780 Grundschulen in NRW sind ohne Leitung. Das sind mehr als zehn Prozent. Von den Stellen ihrer Vertreter sind sogar fast ein Drittel (578 von 1900) nicht besetzt.

Seit Jahren schon bewerben sich immer weniger Grundschullehrer um den Posten des Schulleiters. Ist die Stelle an einer Schule unbesetzt, müssen der Konrektor oder ein Mitglied aus dem Kollegium provisorisch einspringen. Auch Adams hat zwar in Meerbusch die Lücke gefüllt, aber damit in Kaarst eine hinterlassen. "Meine Stelle dort ist nach einem Jahr immer noch nicht wieder neu besetzt worden", sagt er. Kollegen teilen sich die Aufgaben. In Büderich war der Platz des Rektors zwei Jahre lang vakant, bevor Adams ihn übernahm.

Seinen Wechsel hat er nicht bereut. "Als Rektor kann man viel mitgestalten", sagt Adams. Seine Meinung von vor drei Jahren aber hat sich dennoch nicht geändert: Die meiste Zeit seines Tages geht tatsächlich für Verwaltungsaufgaben drauf: E-Mails beantworten, Listen und Statistiken erstellen sowie Gespräche mit Eltern führen - Dinge, auf die er nie vorbereitet worden ist. Und auch Adams Lohn ist nur um "200, 300 Euro" gestiegen.

Baldur Bertling vom Grundschulverband NRW war 25 Jahre lang selber Rektor an einer Grundschule in Dinslaken, bevor er vor zwei Jahren in den Ruhestand ging. Er hat eine Erklärung dafür, warum es heute nur so wenig Bewerber für den Rektor-Posten an Grundschulen gibt: "Es ist ein schwieriges Amt mit schlechter Bezahlung, man hat wenig Zeit für die Aufgaben und erfährt nur wenig Wertschätzung", sagt er. "Da verwundert es nicht, dass es niemand übernehmen will."

Bertling rechnet vor: An einer Grundschule mit 200 Schülern würden sich Rektor und Konrektor 18 Stunden in der Woche für Verwaltungsaufgaben teilen. Damit blieben dem Schulleiter 16 Stunden zum Unterrichten. "In der Zeit ist man für Verlage und Eltern nicht ansprechbar", sagt Bertling. "Die Leitungszeit reicht für die Fülle der Aufgaben nicht aus." Und die seien im Laufe der Zeit immer mehr geworden: "Früher hat die Stadt den Etat verwaltet, heute macht das der Rektor." Nur noch selten gibt es eigene Hausmeister und Sekretärinnen - eine zusätzliche Belastung.

Hinzu kommt die Bezahlung, sagt Bertling. Verbeamtete Grundschullehrer sind meist in der Besoldungsstufe A12 (ab circa 3300 Euro), Rektoren bleiben je nach Schüleranzahl entweder in dieser Klasse oder steigen in A13 (ab circa 3860 Euro) auf. Damit verdienen sie so viel wie ein Gymnasiallehrer. "Grundschulen haben beim Ministerium keine gute Lobby", sagt Bertling. "Die Wertschätzung ist nicht so, wie es die Schulform verdient hätte."

Für den Rektor einer Grundschule im Rheinland ist die Situation noch anders. Um seine Karriere nicht zu gefährden, möchte er unerkannt bleiben, aber trotzdem über seine Lage sprechen. Der Mann Anfang 50 leitet zwei Grundschulen. Für die eine gab es einfach keinen Ersatz, als der Vorgänger seinen Posten verließ. Um sie zu erhalten, wurde ihm die Leitung übertragen - zusätzlich. Nun pendelt der Rektor jeden Tag zwischen beiden Einrichtungen, leitet zwei Kollegien und führt Dienstbesprechungen doppelt.

Nur noch fünf Stunden wöchentlich verbringt der Mann mit Unterrichten. Aufgeben will er das auf keinen Fall. "Der Kontakt zu den Kindern ist wichtig", sagt er. "Man muss sie persönlich kennen, sonst ist man nur noch ein reiner Verwaltungsmensch." Auch das restliche Lehrerpersonal sei an beiden Schulen knapp. "Wir kriegen mit Müh' und Not den im Lehrplan vorgegebenen Stundenplan hin, aber sobald auch nur einer ausfällt, müssen wir Angebote wie Arbeitsgemeinschaften kürzen", sagt der Rektor.

Immerhin hat das Schulministerium das Problem erkannt. Seit 2011 hat es mit Hilfe von 62 Millionen Euro 1227 neue Lehrerstellen geschaffen, um die Schulleiter zu entlasten. Dadurch sollen sie sich verstärkt um die Verwaltungsarbeit kümmern können, "denn Zeit ist auch Geld", heißt es aus dem Ministerium. Dazu gibt es Orientierungsseminare und Coachingkurse. In dem Projekt "Schulleitungsqualifizierung" sollen interessierte Lehrer in 104 Stunden auf ihre zukünftige Tätigkeit als Grundschulrektor vorbereitet werden. "Die Investitionen gehen in die richtige Richtung", sagt Bertling vom Grundschulverband, "aber viel zu langsam."

(RP)
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