Nach den Krawallen in London Wenn die Kapuzen fallen — das Gesicht der Gewaltwelle

London (RP). Jeannie Boxall ist sich ganz sicher. "Es waren etwa 400 junge Angreifer. Die Männer zerstörten die Läden, die Frauen hielten Ausschau nach der Polizei. Die meisten Randalierer waren farbig", erzählt die Besitzerin eines Pubs in Croydon. Wer waren aber diese zumeist vermummten Menschen, die drei Nächte lang die britische Hauptstadt geplündert und in Brand gesetzt haben?

Nach Krawallen - Die Bürger von London räumen auf
11 Bilder

Nach Krawallen - Die Bürger von London räumen auf

11 Bilder

Viele Londoner haben sich seit Sonntag diese Frage gestellt. Die Wahrheit ist für viele nicht weniger schockierend als die Überfälle selbst. Denn vor den Gerichten stehen jetzt keineswegs nur Kriminelle, arbeitslose Junkies und unsoziale Chaoten. Viele angeklagte Krawallmacher haben respektable Jobs, andere kommen aus sehr wohlhabenden Familien. Die Kapuzen sind gefallen, und die Gewaltwelle in London bekommt endlich ein Gesicht.

Von den insgesamt etwa 900 festgenommenen Randalierern in der Metropole wurde bis gestern gegen 370 Anklage erhoben. Spätestens jetzt dürfte klar sein, dass die von manchen Medien als "Unterklasse" pauschal abgestempelte Schar von Gewalttätern nicht ausschließlich von ganz unten kommt. Sie ist vielmehr ein Abbild der gesamten britischen Gesellschaft.

Da ist zum Beispiel der 31-jährige Alexis Bailey, der am Montag mit den Plünderern in ein Musikgeschäft in Croydon eingebrochen haben soll. Der junge Schwarze erteilt Nachhilfeunterricht in einer Grundschule. Freunde beschreiben den Mann als einen "gemütlichen Typ" und ein Vorbild für Kinder. Er schäme sich für das Geschehene, sagte der "Times" der auf Kaution freigelassene Bailey, der sich für schuldig bekannt hat. "Meine Mutter hat es nicht verdient, das zu erleben".

Studentin aus Millionärsfamilie

Die 19-jährige Laura Johnson soll nach Polizeiangaben als Fahrerin eines "Fluchtautos" gemeinsam mit zwei Freunden an den Plünderungen in Greenwich teilgenommen haben. Als die Polizisten alle drei samt ihrer Beute verhafteten, fanden sie neben zwei verpackten Fernsehern, einem Mikrowellenherd, einen Blu-Ray-Player und Handys noch Kapuzenjacken und Handschuhe im Wagen. Die angeklagte Sprachstudentin kommt aus einer Millionärsfamilie, ihre Eltern leben in einem imposanten Landhaus mit einem Tennisplatz in der Grafschaft Kent. Die attraktive Blondine soll nach Medienberichten früher zu den Besten in ihrer Schulklasse gehört haben.

Das ist also die "kranke, gebrochene Gesellschaft", über die der Premier David Cameron am Mittwoch so wütend schien: Seit Montag sahen die Londoner auch Grafikdesigner, Briefträger, Friseure und Köche auf den Anklagebänken der rund um die Uhr arbeitenden Gerichte. Sie alle sollen eine aktive Rolle bei den Unruhen gespielt haben.

Auch Kinder sind darunter. So steht ein elfjähriger Junge, der nicht namentlich genannt werden darf, unter Verdacht, bei den Plünderungen Waren um Wert von 50 Pfund aus einem Supermarkt mitgenommen zu haben. "Für einen Freund", sagt er. Dem Schüler droht jetzt eine Gefängnisstrafe.

Damit muss auch der 42-jährige Barry Naine rechnen, der am Montag ein Geschäft in Peckham ausgeraubt haben soll. Naine arbeitet in einer Wohltätigkeitsorganisation für Obdachlose. Der wohl bizarrste Fall betrifft jedoch einen 35-jährigen frischgebackenen Vater aus Streatham, den die Polizisten bei der Flucht aus einem verwüsteten Tesco-Supermarkt niederknüppeln mussten. "Ich gehöre nicht zu den ,schlechten Jungs‘. Ich wollte nur ein paar Packungen Windeln für mein Kind holen", rechtfertigte sich vor den Beamten der verhaftete Mann, der noch eine Gesichtsmaske trug. Er befindet sich jetzt in einem Untersuchungsgefängnis.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort