Unfallvideo aus England "Schockvideos schrecken nicht ab - im Gegenteil"

Düsseldorf · Zwei junge Männer rasen auf einer Landstraße in den Tod. Der Beifahrer filmt. Die britische Polizei veröffentlicht das Video mit Zustimmung der Eltern auf Youtube, um andere Fahrer abzuschrecken. Doch das wird nicht funktionieren, sagt Verkehrspsychologe Dr. Karl-Friedrich Voss.

 Die Fahrt über die oft stockfinstere Straße wurde vom Beifahrer gefilmt.

Die Fahrt über die oft stockfinstere Straße wurde vom Beifahrer gefilmt.

Foto: Screenshot Youtube

Durch die Windschutzscheibe sieht der Zuschauer einzelne grelle Lichter auf der finsteren Landstraße aufblitzen. Das Video, gefilmt vom Beifahrer mit dem Handy, wackelt stark. Ein Schwenk auf den lachenden Fahrer, dann ein Schwenk auf den Tacho: Mit 90 Meilen pro Stunde (über 140 Stundenkilometer) rasen die beiden jungen Männer durch die Nacht. Schließlich wird das Bild schwarz, in der Tonspur ein Knacken. Als das Bild zurückkommt, ist verschwommen die zerstörte Windschutzscheibe zu sehen. Undeutlich dringt eine Frauenstimme durch: "Can you hear me? - Können Sie mich hören?" fragt sie.

Das schockierende Video dokumentiert die letzten Minuten im Leben eines 20 und eines 21 Jahre alter Briten, die mit ihrem Wagen im kleinen Ort Crowborough vor eine Kirchenmauer prallten. Beide waren laut Polizei sofort tot. Die Polizei der Grafschaft Sussex hat das Video mit Einstimmung der Eltern der beiden jungen Männer auf Youtube veröffentlicht. Es soll andere Autofahrer davon abschrecken, durch halsbrecherische Raserei ihr Leben zu gefährden.

Seit das Video am Montag veröffentlicht wurde, wurde es fast neun Millionen Mal angeklickt. Doch der Verkehrspsychologe Dr. Karl-Friedrich Voss bezweifelt im Gespräch mit unserer Redaktion, dass diejenigen, die das Video gesehen haben, nun selbst vorsichtiger Auto fahren werden. "Diese Schockvideos funktionieren nicht zur Abschreckung", sagt der Vorsitzende des Bundesverbandes Niedergelassener Verkehrspsychologen.

"Dass dramatische Videos wie der Film aus Sussex Raser abschrecken, ist eine Erfindung der Polizei", sagt Voss. Und fügt hinzu, dass die Polizei seiner Meinung nach unangemessen mit dem Tod der beiden jungen Männer umgeht, indem sie das Video veröffentlicht hat und glaubt, damit etwas im Hinblick auf Verkehrssicherheit bewirken zu können. "Es gibt keine Untersuchung, die belegt, dass Schockvideos eine abschreckende Wirkung haben", sagt Voss.

Für den Verkehrspsychologen liegt das Problem bei der "schlechten Ausbildung" der Autofahrer - und genau hier müsse auch angesetzt werden, wenn schlimme Unfälle durch Raserei in Zukunft vermieden werden sollen. Die jungen Leute hätten oft zu wenig Erfahrungen mit Fahrten auf der Landstraße, das müsste laut Voss in der Fahrschule und auch nach der Führerscheinprüfung zusammen mit erfahrenen Autofahrern trainiert werden. "Junge Leute können die Gefahr, die von hohem Tempo ausgeht, schlecht einschätzen", sagt Voss. Seiner Einschätzung nach sucht nur ein kleiner Teil der jungen Fahrer absichtlich das Risiko, wenn er zu schnell fährt.

Dass die Eltern der jungen Männer aus Sussex der Veröffentlichung des Videos zustimmten, kann Verkehrspsychologe Voss nachvollziehen. "Der Tod der Kinder soll etwas Gutes haben, andere Leute sollen davon abgehalten werden, etwas ähnliches zu tun", sagt er. "Das ist menschlich absolut verständlich", sagt Voss. Kein Verständnis hat er dagegen dafür, dass die Polizei den Tod der Männer "missbraucht", indem sie das Video der ganzen Welt zur Verfügung stellt. "Es könnte sogar sein, dass dadurch das Gegenteil von Abschreckung erreicht wird", sagt Voss. Zuschauer könnten sich durch das Video provoziert fühlen, zu beweisen, dass sie eine ähnlich halsbrecherische Fahrt unbeschadet überstehen können.

Passanten in Düsseldorf, die wir zu dem Video befragt haben, sehen die Veröffentlichung nicht so kritisch wie der Verkehrspsychologe. Einige glauben auch an eine abschreckende Wirkung. Joel Niklasch, 20 Jahre alt, aus Münster, sagt: "Das Video ist schon krass. Trotzdem finde ich es okay. Auf Zigarettenpackungen sind auch abschreckende Bilder drauf. So etwas zu sehen ist nicht ohne, und ich glaube es bringt etwas." Stefan Vüllings (36) aus Goch, glaubt zwar, dass das Video Zuschauer von Raserei abhalten könnte. Allerdings sagt er: "Wenn meine Kinder den Unfall gehabt hätten, hätte ich es nicht veröffentlicht".

(lsa)
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