Tödlicher Angriff in Las Vegas "Wir sind um unser Leben gerannt"

Las Vegas · Bei der Attacke auf ein Country-Festival in Las Vegas sterben mindestens 58 Menschen, mehr als 500 werden verletzt. Einen terroristischen Hintergrund schließt das FBI aus. Präsident Trump will morgen in die Spielerstadt fliegen.

Las-Vegas-Anschlag - Schießerei im Casino-Hotel Mandalay Bay
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Las Vegas - Schießerei in Casino-Hotel Mandalay Bay

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Auf dem Festivalgelände an dem legendären Boulevard Las Vegas Strip feiern rund 30.000 Musikfans beim Country-Festival "Route 91 Harvest" den Auftritt des Sängers Jason Aldean, als plötzlich Schüsse fallen. Aus dem 32. Stock des fast gegenüber liegenden Hotels Mandalay Bay schießt ein Mann in die Menge. Minutenlang. Es bricht Panik aus.

Menschen fallen von Kugeln getroffen zu Boden, andere versuchen zu fliehen und trampeln über die am Boden Liegenden hinweg. Verzweifelt halten sich Freunde und Pärchen an den Händen, um im Chaos nicht getrennt zu werden. Einige tragen verletzte Freunde weg und zerren sie hinter Getränkebuden in Deckung. Andere kriechen unter Autos. Augenzeugen berichten später, dass sie gesehen haben, dass es an der Fassade des Mandalay Bay immer wieder aufblitzte.

Laut Sheriff Joseph Lombardo sind mindestens 58 Menschen ums Leben gekommen. Mehr als 500 Menschen seien verletzt worden. Einige von ihnen ringen noch mit dem Tod. Es ist der folgenschwerste Schusswaffenangriff in der US-Geschichte. Im vergangenen Jahr wurden bei einem Anschlag auf einen Nachtclub in Orlando in Florida 49 Menschen getötet.

Der Mann im Hotelzimmer, so teilen die Behörden später mit, heißt Stephan Paddock. Er wohnte als Hotelgast bereits seit vier Tagen in dem Zimmer, seit dem 28. September. Der Polizei zufolge hat sich der 64-Jährige erschossen, noch bevor die Beamten zu ihm vordringen konnten. Sein Motiv ist unklar. "Wir haben keine Erkenntnisse zu seiner Weltanschauung", sagt Sheriff Lombardo. Den Ermittlungen zufolge hatte der Schütze mindestens zehn Gewehre in seinem Hotelzimmer. Er war nicht polizeibekannt, hatte keine Vorstrafen und den Ermittlern zufolge keine Verbindungen zu extremistischen Gruppen.

In der Wohnung, in der Paddock gewohnt habe, seien mehrere Waffen gefunden worden, sonst aber keine Hinweise auf die Vorbereitung einer Straftat. Paddock war nicht wegen Gewalttaten polizeibekannt. Einziger Eintrag in seiner Akte sei ein Verkehrsdelikt, teilt die Polizei mit. Zudem sei eine Frau ausfindig gemacht worden, die mit dem Täter zusammengelebt haben soll.

Die Extremistenmiliz Islamischer Staat reklamiert die Tat zunächst für sich. Der Schütze sei ein "Soldat des Kalifats", erklärt das IS-Sprachrohr Amak. Aus US-Sicherheitskreisen verlautet allerdings, es gebe keine Hinweise auf Verbindungen zu internationalen militanten Gruppen. Möglicherweise habe Paddock psychische Probleme gehabt.

Konzertbesucherin McKenna Keil, die mit zwei Freundinnen aus Kalifornien angereist war und seit Donnerstag im Hotel Mandalay Bay übernachtet hat, steht etwa 20 Reihen von der Bühne entfernt, als die Schüsse fallen. "Zuerst haben wir gedacht, das wäre ein Feuerwerk", sagt die 24-Jährige. Doch dann bricht Panik aus: Menschen schreien, Verletzte und Tote liegen am Boden. "Wir sind um unser Leben gerannt", sagt die Augenzeugin. Sie hört Menschen hinter sich rufen: "Runter auf den Boden, runter auf den Boden!"

McKenna Keil und ihre Freundinnen suchen auf einem Parkplatz unter einem Pick-Up Schutz. Ein Mann hat eine Schussverletzung am Bein. Keil leistet Erste Hilfe, versucht, die Blutung zu stoppen. "Es war wie ein Albtraum, wie das, was man sonst in den Nachrichten sieht, aber plötzlich waren wir mittendrin", sagt Keil. Als sie in ihr Hotelzimmer zurückkehrt, ist der Schütze bereits tot. An ihrem weißen T-Shirt klebt das Blut eines Fremden.

Der Las Vegas Strip wird zur Katastrophenzone. Dutzende Polizeiautos, gepanzerte Fahrzeuge und Krankenwagen säumen den Boulevard. Einige karren Verwundete in ihren Privatautos in die völlig überforderten Notaufnahmen. Beamte der Spezialeinheit Swat stürmen mit Gewehren aus ihren Bereitschaftswagen in das Mandalay Bay Hotel. Bittere Minuten dauert es, bis die Spezialeinsatzkräfte vor Ort sind, im Fahrstuhl nach oben fahren und die Hotelzimmertür aufsprengen. Bittere Minuten, in denen der Schütze Salve um Salve abgibt.

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Nach Ansicht eines Experten der US-Bundespolizei FBI konnte der Schütze so viele Menschen töten, weil er aus einer erhöhten Position heraus schoss. Da rund 30.000 Menschen auf engem Raum zusammengestanden hätten, "musste er nur auf die Mitte zielen und den Abzug drücken", sagt James Gagliano, FBI-Agent im Ruhestand, dem Sender CNN. Zudem habe die Position des Schützen Verwirrung verursacht. Wenn ein Schütze aus einer erhöhten Position schieße, "weiß niemand, wo die Schüsse herkommen", sagt der Experte. "Menschen sind nicht darauf trainiert, nach oben zu gucken."

US-Präsident Donald Trump spricht den Familien der Opfer sein Beileid aus. Dies sei ein "Akt des absolut Bösen", sagt er in einer kurzen Erklärung in Washington und ruft die Nation zur Einigkeit auf. "Im Augenblick der Tragödie kommt Amerika als Einheit zusammen." Trump kündigt Trauerbeflaggung und eine Reise nach Las Vegas am Mittwoch an. Papst Franziskus zeigt sich erschüttert und spricht von einer "sinnlosen Tragödie". Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel äußern sich in Kondolenzschreiben an Trump entsetzt. Das Auswärtige Amt in Berlin arbeitet mit Hochdruck daran zu klären, ob Deutsche unter den Opfern sind.

Wie bei früheren Massakern in den USA zeigten sich Befürworter strengerer Waffengesetze verärgert. "Es ist Zeit, dass der Kongress seinen Hintern hochbekommt und etwas unternimmt", sagte der demokratische Senator Chris Murphy. US-Bürger haben per Verfassung das Recht, Waffen zu tragen.

Die Bluttat hat den Aktien großer Waffenschmieden Auftrieb gegeben. Die Papiere der Branchenschwergewichte Sturm, Ruger & Co und American Outdoor Brands — dem Mutterkonzern des Herstellers Smith & Wesson — legten zum US-Handelsauftakt um fast vier Prozent zu. Dass Waffenaktien mit Kursgewinnen auf Amokläufe und Attentate reagieren, ist an den Börsen nicht ungewöhnlich. Die blutigen Ereignisse lassen die Nachfrage nach Waffen oft kurzfristig anspringen.

(tak/rtr)
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