Wikileaks-Chef Assange lässt sich feiern "Sie sind ein Terrorist im guten Sinne"

London (RP). Es ist gar nicht so leicht, an einem Samstagnachmittag in London 2000 Menschen zu einer politischen Diskussion zu versammeln, die 30 Euro Eintritt kostet. Außer man führt einen erfolgreichen Enthüllungskrieg gegen die halbe Welt und heißt Julian Assange.

Wikileaks-Gründer Julian Assange sprach am Wochenende im Londoner Troxy Club.

Wikileaks-Gründer Julian Assange sprach am Wochenende im Londoner Troxy Club.

Foto: AFP, AFP

"Sie sind ein Terrorist im guten Sinne — so wie Gandhi". Zum zustimmenden Gemurmel des Publikums huscht ein triumphierendes Lächeln über das Gesicht des blassen Mannes im dunklen Anzug, als er das Kompliment des slowenischen Philosophen Slawoj Zizek auf dem Podium hört. Der "Wikileaks"-Chef glaubt, die Geschichte der Menschheit verändert zu haben, indem er die Information in eine Waffe verwandelt und die Geheimnisse der Militärs und Politiker in vielen Ländern offengelegt hat.

"Die US-Regierung reagiert so heftig auf unsere Kampagne, weil sie Angst hat", erklärte am Wochenende der blonde Australier und rief seine Anhänger dazu auf, als Nächstes die ganze Wahrheit über den Geheimdienst CIA und die "vertuschten Geschichten" bei der New York Times zu Tage zu fördern.

Er hat gestern seinen 40. Geburtstag in der Grafschaft Norfolk gefeiert. Nach Zahlung einer Kaution von 240.000 Pfund lebt Julian Assange seit sechs Monaten in einem Anwesen seines Freundes Vaughan Smith, wo er eine elektronische Fußfessel tragen und sich täglich bei der Polizei melden muss. Der kontroverse Enthüller steht im Verdacht, zwei Frauen in Schweden vergewaltigt und sexuell belästigt zu haben. Assange hatte sich im Dezember der Polizei in London gestellt, nachdem ein Gericht in Stockholm ihn auf die "rote Liste" des Interpol setzen ließ.

Im Februar urteilte ein englisches Gericht, dass er nach Schweden ausgeliefert werden muss. In acht Tagen will der Australier dagegen mit einem neuen Team von Staranwälten vor dem High Court in Berufung gehen. Es war zuletzt still gewesen um den "Wikileaks"-Gründer, doch nun meldet er sich mit einer Medien-Offensive zurück.

Assange machte sich gleich zwei Geschenke zu seinem Jubiläum. Erst ließ sich der Australier von acht Gewinnern einer Ebay-Auktion zum Mittagessen in "einem der feinsten Restaurants Londons" einladen. Manche seiner Tischnachbarn hatten bis zu 4.100 Euro für das Privileg gezahlt, vom Kandidaten für den Nobelfriedenspreis-2011 mehr über den Irak-Krieg und die Publikation der diplomatischen Depeschen zu erfahren, mit der "Wikileaks" im Herbst für einen Skandal gesorgt hat.

Assange lud seine Förderer später zu einer Diskussion mit dem renommierten Philosophen Slawoj Zizek über die "neue Informationsfreiheit" im Club "Troxy" ein, die live im Internet übertragen wurde. Zehntausende Menschen in aller Welt erlebten, wie der linksgerichtete Sozialtheoretiker die populäre Enthüllungsplattform zu einem wichtigen Kulturgut der Zivilisation ernannt hat.

"Selbst wenn wir alle wissen, dass der König nackt ist, verändert sich die Welt erst dann, wenn es jemand ausspricht", urteilte Zizek. "Dank ,Wikileaks‘ kann niemand mehr die Augen vor der Wahrheit verschließen". Assange habe nicht nur die Informationsregeln der Regierungen verletzt, er habe sie auch verändert, lobte der 62-jährige Slowene.

Sein Ziel sei es, jene Lücken in der neueren Weltgeschichte zu schließen, die durch Manipulierung der Öffentlichkeit durch die Politiker und Massenmedien entstanden seien, sagte Assange und schrieb dem Einfluss von "Wikileaks" die antiautoritären Aufstände in den arabischen Ländern zu: "Ich bin froh über das Erreichte, allerdings haben wir erst ein Hundertstel aller Lügen aufgedeckt".

Assange kritisierte den "politisch motivierten" Prozess gegen den US-Soldaten Bradley Manning, der hinter der Veröffentlichung der diplomatischen Depeschen stehen soll, und warf der amerikanischen Regierung vor, eine "Hexenjagd" auf die Wahrheitssucher zu veranstalten. Er sei erpresst worden, um die geplante Publikation von Skandaldokumenten über die Bank of America aufzuhalten, eröffnete weiter der "Wikileaks"-Gründer, ohne ins Detail zu gehen.

Assange kündigte eine Klage gegen die Unternehmen Mastercard und Visa an, die Spendenzahlungen an seine Organisation blockieren würden. Er sieht sich nach wie vor als Opfer der schwedischen Justiz, die im US-Auftrag handele. "Es ist nicht fair, mich in ein Land ausliefern zu wollen, dessen Sprache ich nicht beherrsche, ohne dass ich offiziell angeklagt wurde", protestierte der Australier in London.

(RP)
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