Tag zwei nach den Anschlägen Pariser reagieren mit Würde auf den Terror

Paris · Mit Größe und Gelassenheit reagieren die Pariser auf den Terrorakt von Freitagabend. Auch am Tag zwei danach demonstrieren die Franzosen Stärke, wie es unser Reporter vor Ort erlebte.

 RP-Reporter Gianni Costa berichtet auch am Tag 2 nach den Terroranschlägen aus Paris.

RP-Reporter Gianni Costa berichtet auch am Tag 2 nach den Terroranschlägen aus Paris.

Foto: RPD_RP-Online

Tag zwei nach den Anschlägen. Ein deutscher Reisebus macht sich zu einer Tour durch die Stadt auf. Viel wird es für die Touristen nicht zu sehen geben. Alle öffentlichen Einrichtungen wie Museen und der Weihnachtsmarkt sind an diesem Wochenende geschlossen. Der Fahrer hat hinter der Fensterscheibe ein Schild aufgestellt: "Paris — Stadt der Liebe". So schön-schrecklich-kitschig dieser Slogan auch ist, so sehr bewahrheitet er sich in diesen Tagen an der Seine. Es imponiert mir sehr, mit welcher Größe, mit welcher Würde und Gelassenheit die Franzosen mit den Terrorakten umgehen. Und immer wieder dieser eine Satz: "Wir haben keine Angst!"

Paris: "Wir haben keine Angst" - Tag 2 nach den Anschlägen
Foto: afp, JE/ACR

Paris hat sich oberflächlich schnell von dem Anschlag erholt. Nur für einen kurzen Moment ist die Ordnung auf den Straßen ins Wanken geraten. Aber zu keinem Zeitpunkt die Grundwerte. Freiheit. Gleichheit. Brüderlichkeit.

Ja, es gibt in Frankreich viele Probleme. Die Einwanderungspolitik gilt seit Jahren als gescheitert. In vielen Stadtteilen und vor allem in den Vororten kommt es immer wieder zu Konflikten, weil Perspektivlosigkeit dominiert. Nach den Gewalttaten arabischer Terroristen wäre man vermutlich nicht verwundert gewesen, wenn es Proteste in der französischen Bevölkerung gegeben hätte. Ich habe während meines bisherigen Aufenthalts hier davon nichts mitbekommen. Im Gegenteil. Ich habe Menschen beobachtet, die zusammen geweint haben, die wütend waren — nicht auf eine Religion, nicht auf eine ethnische Gruppe, sondern auf Verbrecher.

Ich bin schon sehr oft in Frankreich gewesen. Die längste Zeit als Schüler für mehrere Wochen während eines Austauschs in Longuyon in der Region Lothringen und als Fan während der Fußball-WM 1998. Mir imponiert dieses Land. Mit der Mentalität der Franzosen habe ich allerdings gefremdelt. Man sagt ihnen Sinnlichkeit nach, doch oft sind sie im Alltag einfach nur schroff. Die Franzosen? Zu leicht erliegt man der Versuchung, nach ein paar persönlichen Erlebnissen zu verallgemeinern.

Als ich am Donnerstag nach zwölf Stunden Fahrt mit dem TGV aus München angekommen bin — nach einem sogenannten Personenschaden auf der Strecke war der Bahnverkehr für Stunden unterbrochen — wurden wir in Paris mit einem Geschenk begrüßt. Mitarbeiter der SNCF, der staatlichen Eisenbahngesellschaft, verteilten nach der irren Verspätung Pakete mit Wasser, Apfelsaft und ein paar Keksen drin. Das hätten sie nicht machen müssen und es war einfach nur nett. Als ich total übermüdet und ziemlich verpeilt im Bahnhof herumirrte und die Metroverbindung zum Hotel nicht fand, bot mir ein Mitreisender an, mich zum richtigen Bahnsteig zu bringen. Ein gebürtiger Eritreer, der seit Jahren in der Stadt lebt. Menschlichkeit kennt keine Hautfarbe, kein Alter und schon gar nicht einen Glauben. Auch wenn sich die gefährlichen Scharfmacher in vielen Ländern Europas das gerne so zurechtlegen würden.

Mein Hotel liegt in St. Denis. Von dort braucht man etwa eine halbe Stunde ins Stadtzentrum. Ich bin heute gegen Mittag in die Stadt gefahren. Die Sonne hat über Paris geschienen, 18 Grad. Ein junges Paar saß mir gegenüber im Regionalexpress. Wir kamen ins Gespräch. Es ging natürlich auch um die Anschläge. Plötzlich sagte sie: "Das Leben ist schön." Was für ein großer Satz. Ich fragte sie, wie sie das meint, vor allem nach den schrecklichen Ereignissen. Da sitzt eine junge Frau, Mitte 20 und lächelt. Sie sagt: "So leben zu können, wie man möchte, das bedeutet Freiheit. Niemand wird uns das nehmen. Nicht durch diesen Anschlag, nicht durch einen anderen."

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Es gibt viele die glauben, dass es weitere Terrorakte in Paris geben wird. Immer wieder ist es zu Angriffen gekommen, wie auf die Redaktion der Satirezeitung "Charlie Hebdo" im Januar mit zwölf Toten. Natürlich ist die Sensibilität gestiegen. Alleine am Samstag gab es unzählige Fehlalarme. Unter anderem am Eiffelturm. Der Platz vor der Sehenswürdigkeit wurde weiträumig abgesperrt. Nach einer halben Stunde zog sich die Polizei wieder zurück.

Apropos Sicherheit. Die Polizei hält sich auffallend zurück. An einigen der Tatorte, wie an der Bar "Le Carliton" und dem gegenüberliegenden Restaurant "Le Petit Cambodge", ist überhaupt kein Beamter zu sehen. Die Anschlagziele sind keine Orte der Ruhe. Sie liegen mitten in einem Vergnügungsviertel. Und im Kiez ist das "normale" Leben längst wieder im Gange. Das Restaurant, in dem ich mit Kollegen weniger als 24 Stunden nach dem Anschlag war, ist nur ein paar Schritte von den Anschlagzielen entfernt. Es war bis auf den letzten Platz gefüllt. Auch das ist eine Botschaft an die Terroristen.

Meine wichtigste Botschaft geht an meine Familie: ich komme ganz bald wieder.

(gic)
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