RP-Reporter Gianni Costa aus Paris Am Tag danach

Paris · Diese eine Szene ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Ein Brautpaar lässt sich an den Tuilerien fotografieren. Ich frage sie, ob das nicht ein komisches Gefühl sei, den schönsten Tag seines Lebens unter diesen Begleitumständen zu feiern? Sie lächelt, klammert sich an ihren Mann und sagt dann: "Liebe ist stärker als Hass."

Es ist der Tag nach dem brutalen Angriff auf die französische Hauptstadt Paris. Mehr als 120 Menschen starben bei Explosionen am Stade de France, bei einer Massengeiselnahme in der Konzerthalle Bataclan und bei Schüssen auf Cafés. Mehr als 250 wurden verletzt, viele davon schwer. Der "Islamische Staat" hat sich zu den Anschlägen bekannt. Das Stadion sei angegriffen worden, weil sich Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande zum Zeitpunkt der Tat dort aufhielt. Die Konzerthalle, weil dort "eine perverse Feier" stattgefunden habe.

Bürgermeisterin Anne Hidalgo hat alle Pariser aufgerufen, zu Hause zu bleiben. Die meisten halten sich an den Appell. An diesem Samstag ist es wie sonntags. Nur wenige Touristen laufen durch die Straßen der Millionenmetropole. Viele Geschäfte haben dennoch geöffnet. Es macht fast den Eindruck, als reagierten viele Franzosen trotzig auf die feigen Attacken der Terroristen. Im Laufe des Tages füllt sich die Stadt immer mehr. Viele Pariser wollen so bewusst ein Zeichen: "Wir lassen uns nicht einschüchtern."

Für mich war es eine kurze Nacht. Gegen 1.30 Uhr am Morgen war ich ins Hotel zurückgekehrt. Leer. Traurig. Wütend. Ich habe versucht zu schlafen. Aber bei jedem Geräusch bin ich gleich wieder aufgeschreckt. Am Ende bin ich so immerhin auf 30-Minuten-Dösen gekommen. Gegen vier Uhr Uhr morgens ist passiert, was nicht passieren sollte. Meine Frau ist durch eine SMS wachgeworden und ist mit dem ganzen Wahnsinn konfrontiert worden. Sie hat mich sofort angerufen. Wir haben beide geredet und geweint. Das hat verdammt gut getan. Am Ende hat sie zu mir nur einen Satz gesagt: "Pass auf dich auf." Umso schöner, dass sie mich unterstützt. Unserem Sohn haben wir erzählt, die Piloten würden wieder streiken. Einem Vierjährigen kann man das alles nur sehr schwer vermitteln.

Es ist kurz nach 8 Uhr. Kollege Peter Ahrens von "Spiegel Online" und ich sind im selben Hotel einquartiert. Wir tauschen uns aus, reden über die gewonnenen Eindrücke und stellen immer wieder fest, es nicht begreifen zu können. Nach einem schnellen Frühstück gehe ich noch einmal zum Stadion. Die deutsche Fußballnationalmannschaft hat dort die Nacht verbracht. Die Sicherheitskräfte stuften das Risiko als zu groß ein, die Spieler in Bussen zurück ins Mannschaftshotel Molitor zu bringen. Dort war am Mittag vor der Partie eine Bombendrohung eingegangen. Viele hatten das nicht ernstgenommen. Es gibt immer wieder solche anonymen Anrufe. Selten stellen sie sich als echt heraus. Im Rückblick fällt die Bewertung in diesem Fall selbstredend anders aus.

Am Stadion ist alles abgeriegelt. Tags zuvor hatten Terroristen versucht, an der Ostseite ins Stadion einzudringen. Mindestens einer von ihnen war in Besitz eines gültigen Tickets. Der Plan scheiterte allerdings. Daraufhin sprengte sich einer der Täter in der Nähe eines McDonalds-Restaurants in die Luft. Insgesamt vier Tote gibt es in diesem Bereich. Beamte der Spurensicherung sind vor Ort. Polizisten mit Maschinengewehren sichern das Areal.

Das Stadion liegt in St. Denis, einem Pariser Vorort. Mit der Bahn dauert es gut eine halbe Stunde in die Stadt. Kurz nach den Attentaten war der Nahverkehr komplett eingestellt, mittlerweile fahren die meisten Züge wieder. An der Champs Elysee hatte am Freitag der Weihnachtsmarkt eröffnet. Mindestens Samstag und Sonntag sind alle Buden geschlossen, wie auch alle öffentlichen Einrichtungen in der Stadt. Am Platz sind an einer Statue viele Blumen niedergelegt worden. Und wo viele Blumen sind, sind viele Kameras. Es geht um Bilder und Symbole. Medien aus aller Welt senden rund um die Uhr aus Paris.

Das Bataclan Café liegt im zehnten Stadtbezirk. Ein beliebtes Ausgehviertel. Ein Kiez mit vielen Nationalitäten. Ich bin verwundert darüber, dass die Polizei den Bereich um die Konzerthalle nicht weiträumiger abgesperrt hat. Man hat von allen Seiten einen Blick auf den Ort des Grauens. Viele dieser Bilder werde ich wohl nie vergessen können. Auf dem Boden ist Blut, der Asphalt ist rot eingefärbt. Schuhe, zerrissene Kleidungsstücke von den Opfern liegen überall herum, in dem Gemäuer dutzende Einschusslöcher. Einige andere Eindrücke sind nicht zur Übermittlung geeignet. Man kann nur erahnen, was Stunden zuvor hier passiert ist. Ein junger Polizist hat Tränen in den Augen. Viele die hier stehen haben Tränen in den Augen. In kleinen Gruppen stehen Menschen zusammen, einige beten, wollen Abschied nehmen.

Irgendwann fängt es leicht an zu regnen. Mein Körper ist so müde von den vergangenen Stunden auf den Beinen, dass ich die Tropfen gar nicht mehr spüre. Es ist dennoch der Zeitpunkt für die Rückkehr ins Hotel. Auf dem Weg dahin komme ich an einem Transparent vorbei: Vive la France steht darauf. Es lebe Frankreich.

Heute.

Morgen.

Immer.

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