Papst auf US-Reise "Unsere Welt steht vor einer Flüchtlingskrise"

Washington · Als erster Papst hat Franziskus am Donnerstag in Washington vor dem US-Kongress gesprochen. Unter Verweis auf den Bürgerrechtler Martin Luther King (1929-1968) und dessen Traum von vollen bürgerlichen und politischen Rechten für Afroamerikaner thematisierte der Papst den Umgang mit Migranten.

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Papst Franziskus spricht vor US-Kongress

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Die Welt stehe vor einer Flüchtlingskrise, die ein seit dem Zweiten Weltkrieg unerreichtes Ausmaß angenommen habe. Als Sohn von Einwanderern fordere er dazu auf, die Mentalität der Feindseligkeit abzulehnen und menschlich, gerecht und brüderlich zu handeln, betonte der Papst. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) dokumentiert den betreffenden Abschnitt in einer Arbeitsübersetzung des Vatikan:

Hier denke ich auch an den Marsch, den Martin Luther King vor 50 Jahren von Selma nach Montgomery anführte als Teil der Kampagne, um seinen "Traum" von den vollen bürgerlichen und politischen Rechten für Afroamerikaner zu verwirklichen - ein Traum, der immer noch in unseren Herzen nachklingt. Ich freue mich, dass Amerika weiterhin für viele ein Land der "Träume" ist. Träume, die zum Handeln führen, zur Beteiligung, zum Engagement. Träume, die das Tiefste und Wahrste im Leben eines Volkes erwecken.

In den letzten Jahrhunderten sind Millionen von Menschen in dieses Land gekommen, um ihren Traum vom Aufbau einer Zukunft in Freiheit zu verfolgen. Wir, die Menschen dieses Kontinents, haben keine Angst vor Fremden, denn die meisten von uns sind einst selber Fremde gewesen. Ich sage Ihnen das als Sohn von Einwanderern, da ich weiß, dass viele von Ihnen ebenfalls von Einwanderern abstammen.

Tragischerweise sind die Rechte derer, die lange vor uns hier waren, nicht immer respektiert worden. Diesen Menschen und ihren Nationen möchte ich vom Herzen der amerikanischen Demokratie aus erneut meine größte Hochachtung und Wertschätzung versichern. Diese ersten Kontakte waren oft turbulent und gewaltsam, doch es ist schwierig, die Vergangenheit mit den Kriterien der Gegenwart zu beurteilen.

Dennoch dürfen wir, wenn ein Fremder in unserer Mitte eine dringende Bitte an uns richtet, nicht die Sünden und Fehler der Vergangenheit wiederholen. Wir müssen uns jetzt entscheiden, so großherzig und gerecht wie möglich zu leben, indem wir die nachfolgenden Generationen lehren, unseren 'Nachbarn' und unserer Umgebung nicht den Rücken zu kehren. Der Aufbau einer Nation fordert uns auf zu erkennen, dass wir ständig mit anderen in Verbindung stehen und die Mentalität der Feindseligkeit ablehnen müssen, um eine Haltung der gegenseitigen Subsidiarität anzunehmen, in dem ständigen Bemühen, unser Bestes zu tun. Ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingt.

Unsere Welt steht vor einer Flüchtlingskrise, die ein seit dem Zweiten Weltkrieg unerreichtes Ausmaß angenommen hat. Das stellt uns vor große Herausforderungen und schwere Entscheidungen. Auch in diesem Kontinent ziehen Tausende von Menschen nordwärts auf der Suche nach einem besseren Leben für sich und ihre Lieben, auf der Suche nach größeren Möglichkeiten. Ist es nicht das, was wir für unsere eigenen Kinder wünschen? Wir dürfen nicht über ihre Anzahl aus der Fassung geraten, sondern müssen sie vielmehr als Personen sehen, ihnen ins Gesicht schauen, ihre Geschichten anhören und versuchen, so gut wir können, auf ihre Situation zu reagieren. In einer Weise zu reagieren, die immer menschlich, gerecht und brüderlich ist. Wir müssen eine heute allgemeine Versuchung vermeiden: alles, was stört, auszuschließen. Erinnern wir uns an die goldene Regel: "Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen" (Mt 7,12).

Diese Regel weist uns in eine klare Richtung. Behandeln wir die anderen mit derselben Hingabe und demselben Mitgefühl, mit dem wir behandelt werden möchten! Suchen wir für die anderen nach denselben Möglichkeiten, die wir uns selber wünschen! Begleiten wir die anderen in ihrem Wachstum, wie wir gerne selber begleitet werden möchten!

Kurz gesagt: Wenn wir uns Sicherheit wünschen, dann sollten wir Sicherheit geben; wenn wir uns Leben wünschen, dann sollten wir Leben geben; wenn wir uns Möglichkeiten wünschen, dann sollten wir Möglichkeiten bereitstellen. Der Maßstab, den wir an die anderen anlegen, wird der Maßstab sein, mit dem die Zeit uns messen wird.

(KNA)
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