Unterwegs in Japans Städten Feierabend-Bier und Senioren-Parkwächter

Tokio · Im Gebäude der Präfektur von Fukushima, der Verwaltung der Region, klingelt am Abend eine Melodie aus dem Lautsprecher, die an den Glockenton von Big Ben in London erinnert. "Das ist das Zeichen für Feierabend", erläutert der Begleiter auf meinem ratlosen Blick hin. "Aber glauben Sie nicht dass hier irgendjemand aufsteht und nach Hause geht."

Mit Helmut Michelis unterwegs in Japan
Foto: dpa, wst tmk lof

Die japanische Arbeitsmoral ist nach wie vor hoch, die tatsächlichen Arbeitszeiten gehen bis in den späten Abend. In Tokio gibt es sogar eine regelmäßige zweite Rush-Hour gegen 22.30 Uhr, weil die Firmenchefs und Abteilungsleiter nach getaner Arbeit noch ihre Angestellten in die umliegenden Restaurants oder Kneipen entführen und sie erst später nach Hause entlassen.

Diese Sitte löse sich aber langsam auf, erfahre ich. Die Wirtschaftskrise habe die traditionell sehr enge Bindung der Mitarbeiter an ihre Firmen gelockert. Vorher seien Entlassungen nur schwer vorstellbar gewesen. Jetzt seien sich vor allem die jüngeren Angestellten bewusst, dass sie nicht mehr automatisch lebenslang mit ihrem Unternehmen verbunden sind. Dies führe unter anderem dazu, dass sie der Familie und dem Privatleben mehr Platz einräumten und dem Ruf des Chefs zum Feierabend-Bier oder Sake-Reiswein nicht mehr zwangsläufig folgten.

Auffällig im Stadtbild sind ältere Arbeitnehmer, möglicherweise mehr als 70 Jahre alt, die unter anderem als Einweiser, Parkwächter oder Wachmann tätig sind. In Japan konnte man früher in Rente gehen als in Deutschland, inzwischen aber ist die Grenze mit 65 Jahren gleich. Es gehe den Älteren nicht allein darum, ihre Rente aufzubessern, heißt es. Es gehöre auch zum Gesellschaftsbild, möglichst spät in den Ruhestand zu treten. Und für japanische Ehefrauen sei es normal, dass der Familienvater eigentlich nur selten zu Hause ist. Der Sonntag sei der umsatzstärkste Tag in den Kaufhäusern. Denn die Frauen hätten neue Anschaffungen für den Haushalt schon in der Woche vorbereitet, am arbeitsfreien Sonntag treffe dann der Mann - zumindest formell - die Kaufentscheidung.

(mic)
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