Karlspreis für Papst Franziskus Der Traum von einem humanen Europa

Rom · Papst Franziskus hat in Rom den Aachener Karlspreis in Empfang genommen. Die Ehrung wird zu einer Demonstration der Menschlichkeit.

Papst Franziskus wird mit dem Aachener Karlspreis 2016 ausgezeichnet
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Papst Franziskus wird mit dem Aachener Karlspreis ausgezeichnet

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Foto: dpa, gfh

Franziskus, der Papst der Armen, inmitten des Prunks des Apostolischen Palastes in Rom, das ist immer wieder ein faszinierender Gegensatz. Das unkonventionelle Oberhaupt der katholischen Kirche bleibt auch in den kunstvoll ausgeschmückten Hallen des Vatikans seiner schlichten Losung treu: Wir brauchen Barmherzigkeit. Nicht einmal das "Wir schaffen das" der Kanzlerin geht dem Papst weit genug. Seine Botschaft lautet: Wir müssen das schaffen.

"Was ist mit dir los, humanistisches Europa, du Verfechterin der Menschenrechte, der Demokratie und der Freiheit?", fragt der 79-Jährige mit ruhiger, liebevoller Stimme. "Was ist mit dir los, Europa, du Heimat von Dichtern, Philosophen, Künstlern, Musikern, Literaten?" Die rund 500 aus der alten Kaiserstadt Aachen angereisten Gäste hören nachdenklich zu.

Immer wieder betont Franziskus in seiner Rede, von welcher Art Europa er träumt: einem jungen, brüderlichen, auf Nächstenliebe und nicht auf Konsumismus gründenden Kontinent. "Ich träume von einem Europa, von dem man nicht sagen kann, dass sein Einsatz für die Menschenrechte an letzter Stelle seiner Visionen stand." Es gehe um Solidarität, nicht um Almosen. Der Papst fordert die kulturelle Integration. Er will die Ängste vor dem Fremden überwinden, setzt deshalb auf das gegenseitige Kennenlernen.

Die das hören, sind berührt von seinem Aufruf. Die drei Präsidenten der europäischen Institutionen — Martin Schulz, Donald Tusk und Jean-Claude Juncker — sitzen in der ersten Reihe ebenso wie Kanzlerin Angela Merkel, der italienische Premier Matteo Renzi und Spaniens König Felipe. Sie applaudieren, als der Papst von seinem europäischen Traum erzählt, von einem Europa der Menschenrechte, in dem die "Politik mehr auf die Gesichter blickt als auf die Zahlen und mehr auf die Geburt von Kindern als auf die Vermehrung der Güter achtet".

Damit erfüllt der Papst die hohen Erwartungen, die schon früh mit der Ehrung verbunden wurden. Aachens Oberbürgermeister Marcel Philipp, der an der Spitze einer 450-köpfigen Delegation nach Rom gekommen ist, hatte schon im Vorfeld "einen wichtigen Impuls für Europa" erhofft. Beim Festakt sagt er: "Die Möglichkeiten, solidarische Beiträge zu leisten, sind ungleich verteilt, aber in der Summe haben die Menschen Europas die Kraft, die Welt zu einem besseren Ort zu machen." Philipp bezeichnet den Papst als "Glück" für den schwierigen Weg Europas, weil Franziskus den Blick öffne für Armut, Hunger, Krieg und Not: "Wegschauen geht nicht mehr", sagt er.

Die großen Krisenthemen, allen voran die Flüchtlingsfrage, aber auch Rechtsextremismus und nationale Egoismen, bestimmen die Wortmeldungen der Präsidenten der drei europäischen Institutionen. Schulz, der aus dem Aachener Land stammende Präsident des Europäischen Parlaments, spricht von einer "Geschichtsvergessenheit", die dazu führe, neue Grenzen und Zäune zu errichten und damit das hohe Gut der Freizügigkeit zu gefährden. Schulz kritisiert "jene Regierungschefs, die sich weigern, muslimische Flüchtlinge aufzunehmen, mit der Begründung, man sei ein christliches Land". Der Papst zeige dagegen, "was gelebte Solidarität, was Menschlichkeit heißt".

Darauf ging auch der Präsident der Europäischen Kommission, der Luxemburger Juncker, ein. Er erinnert an die Friedensmission der Gründerväter, die bis heute Vorbild sei. Der frühere polnische Premier Tusk, inzwischen Präsident des Europäischen Rates, sieht vor allem die christliche Dimension. Er lobt die neue Bescheidenheit der katholischen Kirche und sieht in ihrer Wertedebatte ein Vorbild für die Politik: "Europa ist gewissermaßen ein Glaubensgrundsatz", sagt er.

Der Papst geht weit darüber hinaus. Er verlangt von der Kirche eine aktive Rolle: "Am Wiederaufblühen eines zwar müden, aber immer noch an Energien und Kapazitäten reichen Europa kann und soll die Kirche mitwirken." Seine teils harsche Kapitalismuskritik (Leitgedanke: Spekulation und Profitdenken verhindern gerechte Verteilung der Früchte) verbindet der Argentinier mit konkreten Forderungen nach einer sozialen Wirtschaft, die "Arbeitsplätze und Qualifikation" schaffen soll.

Die Zeremonie, auf 90 Minuten angelegt, findet ihren äußerlichen Höhepunkt — wie einst Karls Kaiserkrönung in Rom — mit der Übergabe der Insignien. Neben Urkunde und Medaille gehört dazu ein symbolischer Geldpreis von 5000 Euro. Das Karlspreisdirektorium charakterisiert Franziskus bei der Verleihung als "Stimme des Gewissens", die uns lehre, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen.

Die Aufmerksamkeit ist dieses Mal außergewöhnlich hoch: Neben der Kanzlerin zählen auch Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, Bundestagsvizepräsdentin Ulla Schmidt und einige deutsche Kardinäle zu den Gästen. Europas Mächtige zeigen sich nach der Feierstunde "tief beeindruckt." Sie sehen im Papst einen Mitstreiter gegen Rechtspopulismus.

Italiens Premier Matteo Renzi nutzt die Feierstunde und wirbt für den von ihm vorgeschlagenen Integrationspakt. Gleichzeitig kritisiert er Österreich wegen der geplanten Grenzkontrollen: "Wenn man den Brenner schließt, ist das eine Mauer gegen die Zukunft Europas." Schulz und Juncker wollen die Papst-Rede nun an die Regierungen aller 28 EU-Mitgliedstaaten weiterleiten. Damit sie die Worte des Papstes sehr aufmerksam lesen.

(RP)
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