"Giftiges Leder" TV-Doku zeigt die wahren "Kosten" der Leder-Herstellung

Berlin · Europas Konsumenten haben sich an günstiges Leder gewöhnt. Doch den Preis zahlen andere. Eine TV-Dokumentation zeigt die menschliche und ökologische Katastrophe der boomenden Lederindustrie Bangladeschs.

 Unter schwersten Arbeitsbedingungen schleppen Arbeiter die rohen Häute.

Unter schwersten Arbeitsbedingungen schleppen Arbeiter die rohen Häute.

Foto: dpa, aa ms lus

Schwitzende Männer und Frauen stehen in einem graublauen Sud und schrubben Tierhäute. Die Dämpfe verätzen Lunge und Haare, das Kalkwasser verbrennt ihnen die Haut. Aber das größte Problem sei der Gestank, sagt Sharmin. Nach ihrem ersten Tag in der Gerberei war sie eine Woche lang krank. Inzwischen habe sie sich daran gewöhnt. "Was sollen wir tun?", fragt ihre Mutter. "Wenn wir Reis im Bauch hätten, könnten wir uns darüber Gedanken machen."

 Kaum geschützt arbeiten die Menschen mit giftigen Chemikalien.

Kaum geschützt arbeiten die Menschen mit giftigen Chemikalien.

Foto: dpa, aa ms lus

Einen seltenen Einblick in den menschlichen und ökologischen Alptraum der boomenden Lederindustrie in Bangladesch bietet die Dokumentation "Giftiges Leder". Arte zeigt den Film am Dienstag um 21.10 Uhr im Rahmen des Themenabends "Sterben für die Mode".

"Einer der meistverschmutzten Orte der Welt"

Seit sich die Produktionskosten in China verdoppelt haben, ist Bangladesch zum Zentrum der weltweiten Lederproduktion aufgestiegen. In Hazaribagh, einem Vorort der Hauptstadt Dhaka, drängen sich rund 300 Gerbereien auf einer Fläche, die kleiner ist als das Münchener Oktoberfest. Es ist einer der meistverschmutzten Orte der Welt. Rund 14 Millionen rohe Tierhäute werden hier jedes Jahr verarbeitet.

Zu den Hunderten dazu eingesetzten Chemikalien gehören hochgiftige Stoffe wie Quecksilber und Chrom, die Arbeiter ohne Ausbildung und Schutzkleidung handhaben. Ungereinigt fließen die Abwässer in den stinkenden trübgrauen Fluss, Millionen Liter im Jahr.

Dazwischen leben die Arbeiter dicht gedrängt in Hütten aus Holz und Plastikfolie. Wie Sharmin und ihre Familie verlassen jährlich rund 400.000 Bangladescher ihre unfruchtbaren Felder, um in den Slums der Hauptstadt Arbeit zu suchen. Die Industrie schöpft so aus dem Vollen: Die meisten Arbeiter der Gerbereien sind austauschbare Tagelöhner, die für ein mickriges Entgelt zwölf Stunden schuften. Fast alle von ihnen erkranken als direkte Folge der Arbeit, nur wenige werden älter als 50.

Dabei gibt es sogar einen Umweltbeauftragten der Regierung. Wie ein moderner Sisyphos eilt Muhammad Munir Chowdhury mit seinem Team von Ort zu Ort und entnimmt gewissenhaft Wasserproben. Dann steht er in einem Kreis feindselig guckender Männer und erklärt einem Fabrikleiter, dass sein Abwasser unzulässig ist.

Doch die Strafen, die Chowdhury verhängt, werden telefonisch aufgehoben, kaum, dass er weg ist. Zu grassierend ist die Korruption. Die größten Gerbereien des Landes gehören Regierungsangehörigen.

Der wahre Preis des Leders ist mörderisch

Es ist der wahre Preis des vermeintlich günstigen Leders, den der Film zeigt. Die einfachen Bilder sind deutlich genug. In den ätzenden Chemiepfützen stehen nackte Füße. Aus der toten grauen Brühe des Flusses ziehen Fischer leere Netze, am Ufer waschen sich Menschen. Sharmins dreijährige Tochter wächst nicht und kann weder sprechen noch laufen. Ein Gerbereibesitzer winkt ab: "Natürlich ist das Wasser ungesund. Wenn uns das Sorgen machen würde, dann müssten wir unsere Firma schließen, und wer wäre bitte zu sowas bereit?"

Die Ahnungslosigkeit westlicher Käufer ist gut für das Geschäft. Das wissen auch die Mächtigen der Industrie: Der Zugang zu den Gerbereien ist schwierig, beim ersten Drehversuch wurde das Filmteam nach drei Tagen des Landes verwiesen. Für die Umweltrechts-Anwältin Syeda Rizwana Hasan ist der Zusammenhang klar: "Ich habe erlebt, dass europäische Verbraucher, wenn sie erst einmal wissen, was hier geschieht, Stellung beziehen, und das hilft uns in Bangladesch. Ich hoffe deshalb sehr, dass die europäischen Käufer anfangen, Fragen zu stellen." Die Nahrung für diese Fragen liefert "Giftiges Leder" mit Bravour.

Arte zeigt "Giftiges Leder" am 20. Oktober um 21.10 Uhr.

(dpa)
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