Erdüberlastungstag Ab heute lebt die Menschheit für 2016 auf Pump

Berlin · Die ökologischen Belastungsgrenzen der Erde werden von der Menschheit immer stärker strapaziert. Seit Montag sind nach Berechnungen von Forschern sämtliche Ressourcen aufgebraucht, welche die Erde dieses Jahr ersetzen könnte.

Zehn Naturwunder, die schon bald verschwinden werden
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Foto: flickr/ cc by-sa 2.0/Guillaume Baviere

Bildlich gesprochen ist damit für den Rest des Jahres 2016 das verfügbare natürliche Budget überzogen. Eigentlich war schon Ende April alles aufgebraucht, was die Natur in einem Jahr in Deutschland regenerieren kann. An diesem Montag ist es für die gesamte Weltbevölkerung so weit: Sie hat alles gerodet, gegessen und verschmutzt, was ihr für 2016 zusteht. Der Rest kommt obendrauf. Von Nachhaltigkeit keine Spur.

Was bedeutet das? Überfischte Meere, Artensterben, Erosion fruchtbarer Böden, Gift in Wasser, Boden und Luft, Klimawandel. Und damit auch: Hunger, Hochwasser, Dürren und andere Katastrophen. Das preisgekrönte Netzwerk Global Footprint hat errechnet, dass die Bevölkerung der Erde bei ihrem derzeitigen Lebensstandard 1,6 Planeten bräuchte. Ließen alle es sich so gut gehen wie die Deutschen, wären es sogar 3,1 Erden.

Und es wird immer schlimmer. Denn obwohl das Prinzip Nachhaltigkeit heute eigentlich überall gepriesen wird, rutscht der "Erdüberlastungstag" immer weiter nach vorn. Im Jahr 2000 war es noch der 1. Oktober, vergangenes Jahr der 13. August, jetzt ist es der 8. August. Läuft es weiter wie bisher, sind die Ressourcen im Jahr 2030 schon am 28. Juni aufgebraucht.

"Ein Weiter so ist keine Option"

Wie kann das sein, wo das Problem doch seit Jahrzehnten bekannt ist? "Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt", damit machten die Grünen schon 1983 Wahlkampf. 1992 gab es dann in Rio de Janeiro mit der Agenda 21 ein großes Bekenntnis zur Nachhaltigkeit von mehr als 170 Staaten. Zehn Jahre später legte die Bundesregierung eine "nationale Nachhaltigkeitsstrategie" vor, die gerade überarbeitet wird, eine UN-Agenda 2030 gibt es seit vergangenem Herbst.

An Bekenntnissen der Politik fehlt es in Deutschland auch nicht. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sagte der Deutschen Presse-Agentur zum "Erdüberlastungstag": "Ein Weiter so ist keine Option." Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mahnte kürzlich "enkeltaugliche" Entscheidungen der Politik an.

Merkels Regierungsentwurf zur Nachhaltigkeit kommt aber bei vielen nicht gut an. Er gehe "allzu oft den Weg des geringsten Widerstandes" und sei "nicht konsequent", bemängeln etwa die Experten des Nachhaltigkeitsrats, die die Bundesregierung beraten. Ähnlich sehen es Organisationen wie WWF oder Germanwatch: Mutlos, konfliktscheu, unverbindlich.

Wirtschaft kontra Nachhaltigkeit

Wie der Klimaschutz ist auch das weitere Feld Nachhaltigkeit eines, auf dem Lobbys, Verbände und Unternehmen mit harten Bandagen für ihre Interessen und ihr Image kämpfen. Besonders anschaulich ist das Hickhack beim Klimaschutzplan 2050 aus dem Hause Hendricks, der vom Wirtschaftsressort bereits deutlich aufgeweicht und nun auch vom Bundeskanzleramt in zentralen Punkten in Frage gestellt wurde. Landwirtschafts- und Verkehrsminister haben ohnehin schon die Daumen gesenkt. Das Ergebnis, das noch 2016 vom Kabinett verabschiedet werden soll, dürfte letztlich weder Hendricks noch Umwelt- und Klimaschützer zufriedenstellen.

Große Linien über Jahrzehnte - gern, aber bitte keine konkreten Vorgaben. Wie lange werden noch Diesel- und Benzinmotoren zugelassen? Wie viel Dünger darf auf die Felder? Wie lange produziert Deutschland noch Strom aus Kohle? Darf jeder, der es sich leisten kann, ein Häuschen im Grünen bauen? Wie viel Fleisch darf jeder essen, und ist Sushi noch erlaubt?

So wird der abstrakte Begriff Nachhaltigkeit plötzlich persönlich. Aber wenn nur die Deutschen sich in Bescheidenheit üben, reicht das natürlich nicht. "Der Klimawandel kennt keine Nationalstaatsgrenzen", mahnt der WWF. "Vor den Folgen von Wassermangel, Artensterben oder Meeresverschmutzung kann sich kein Land der Welt abschotten."

(felt/dpa/AFP)
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