Geschwisterkinder 16 Jahre hinter Gittern Jüngste Mörder der USA kommen frei

Orlando · Wegen Mordes landeten zwei amerikanische Kinder im Gefängnis. Die Geschwister verbrachten ihre Jugend hinter Gittern. Nun kommen sie als Erwachsene frei - und rüsten sich für einen beispiellosen Kulturschock.

 Nach 17 Jahren im Gefängnis müssen sich die Geschwister Curtis und Catherine Jones in einer für sie fast neuen Welt zurechtfinden.

Nach 17 Jahren im Gefängnis müssen sich die Geschwister Curtis und Catherine Jones in einer für sie fast neuen Welt zurechtfinden.

Foto: afp, kb

Als Curtis Jones im grauen Sträflingsanzug erstmals vor Gericht erscheint, ist er zwölf Jahre alt. Mit bubenhaftem Gesicht schaut der Afroamerikaner in Richtung Richterbank. Neben ihm steht seine 13 Jahre alte Schwester Catherine mit ihren schwarzen Zöpfen und blickt zu Boden. Als die beiden wegen des Mordes an der Freundin ihres Vaters zu 18 Jahren Haft verurteilt werden, ist Curtis unter Schock - und fragt den Verteidiger, ob er wenigstens eines seiner Videospiele mit ins Gefängnis nehmen darf.

16 Jahre Gefängnis und eine gesamte Jugendzeit später werden die einst jüngsten Mörder der USA nun in Freiheit entlassen. Catherine, die noch nie ein Handy benutzt, noch nie die Gänge einer High School betreten, noch nie ein Job-Interview geführt und noch nie das Internet benutzt hat, soll am Samstag freikommen - als 30 Jahre alte Frau. Curtis verließ sein Gefängnis in Florida am Dienstag, wie ein Gefängnissprecher bestätigte. Den Geschwistern steht ein unvergleichlicher Kulturschock bevor.

Zunächst sieht alles danach aus, als hätten die nahe Orlando aufwachsenden Kinder Sonya Nicole Speights aus Eifersucht getötet. Polizei, Anwälte und Medien zeichnen das Bild zweier Geschwister, die neidisch auf all die Aufmerksamkeit sind, die ihr Vater seiner 29 Jahre alten Freundin schenkt. Doch die zuständige Kinder- und Jugendbehörde kommt Medienberichten zufolge zu einem anderen Ergebnis: Der Alltag im Hause Curtis ist von Gewalt geprägt.

Die Kinder sind drei und vier Jahre alt, als ihre Mutter wegen häuslicher Gewalt Reißaus nimmt, berichtet die Lokalzeitung "Florida Today". Die weiße Amerikanerin hatte den Schwarzen in einem Fast-Food-Restaurant bedient und trotz des Protests ihrer Eltern mit ihm eine Beziehung begonnen. Innerhalb eines Monats beginnt er, sie zu schlagen, auch während der Schwangerschaft. Bei der Flucht zur Mutter im Südstaat Alabama lässt sie die Kinder zurück - aus Furcht vor Rache des Mannes und wegen Einspruchs ihrer rassistischen Mutter.

So werden die Kinder ihrem Schicksal überlassen. Beide berichten, von einem Familienmitglied sexuell missbraucht worden zu sein. Trotz mehrfacher Besuche und Anzeichen auf sexuelle Gewalt ziehen die Behörden keinerlei Konsequenzen. Als die 13-Jährige ihrem kleinen Bruder Ende 1998 von ihrem Plan erzählt, den Schuldigen sowie die Freundin des Vaters mit der im Schlafzimmer versteckten Pistole töten zu wollen, verspricht Curtis zu helfen.

Speights sitzt über einem Puzzle am Esstisch, als der kleine Junge die Waffe aus seinem Schoß nimmt und auf ihren Brustkorb feuert. Vier von neun Kugeln treffen die Frau. Beide Kinder zittern und weinen, zerren den Körper mit einer Blutspur in die Badewanne und kippen Bleichmittel auf den Teppich. Erst erzählen sie Nachbarn von einem Unfall, dann verstecken sie sich im Wald und werden am nächsten Wintermorgen im Januar von der Polizei entdeckt. Das Jugendstrafrecht hätte eine Höchststrafe von drei Jahren Haft vorgesehen - doch eine Jury entscheidet, die beiden als Erwachsene verurteilen lassen.

Curtis habe sich im Gefängnis zum Pastor ordinieren lassen und virtuelle Kurse eines Priesterseminars belegt, sagt eine Sprecherin. Auch eine Kirche gibt es in seinem Gefängnis. "Er war ein Vorzeige-Häftling", sagt sie - bis auf einen Vorfall, als ein Hurrikan den Zaun seiner Haftanstalt niederriss und er vergeblich versuchte, die Flucht zu ergreifen.

Catherine hingegen hat schon einen Partner, der ihr den Weg ins neue Lebnen ebnen will. Ramous Fleming hatte die Geschichte in Tausenden Kilometern Entfernung an Bord eines im Persischen Golf stationierten Flugzeugträgers gelesen. Er schrieb Catherine - und die beiden blieben in Kontakt. "Wir schrieben uns weiter und dadurch verliebten wir uns", sagt er. Im November 2013 heirateten sie im Gefängnis in Florida. "Sie muss viel lernen, aber es ist gleichzeitig aufregend", sagt er laut "Florida Today". "Sie wird sich sehr anpassen müssen."

Der Schritt aus dem Gefängnis dürfte für beide einem Zeitsprung gleichen. "Ich habe nie Make-up getragen oder meine Nägel oder mir Strähnen machen lassen und die ganzen anderen schönen Sachen", sagt Catherine. Nun möchte sie ans College gehen, Jura studieren oder auch ein Restaurant eröffnen. Ihren Bruder sah sie kurz nach dem Urteil zum letzten Mal.

"Nachdem ich all meine Teenager-Jahre und die meiste Zeit meines jungen Erwachsenseins hinter Gittern verbracht habe, werde ich in eine fremde Gesellschaft entlassen, die sich so sehr von dem unterscheidet, was ich zurückgelassen habe", schrieb Catherine in einem Brief an "Florida Today" im Jahr 2009. Ob die Geschwister reif sind, ihr nun bevorstehendes Leben auf Bewährung zu meistern, ist fraglich. Vor der Aufgabe, als "normaler Mensch" zu funktionieren, habe sie Angst, schreibt Catherine. "Ich verlasse das Gefängnis so ahnungslos, wie ich mit 13 war."

(dpa)
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