Krankenhaus in London Eltern von todkrankem Baby bekommen mehr Zeit für Abschied

London · Die künstliche Beatmung des unheilbar kranken britischen Jungen sollte am Freitag eingestellt werden. Das hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in letzter Instanz entschieden. Jetzt bekommt er noch einmal "etwas mehr Zeit".

 Die Eltern von Charlie, Chris Gard und Connie Yates (Archiv).

Die Eltern von Charlie, Chris Gard und Connie Yates (Archiv).

Foto: ap

Die Eltern des unheilbar erkrankten britischen Babys Charlie Gard dürfen sich noch etwas länger als ursprünglich geplant von ihrem Kind verabschieden. Das teilte das Krankenhaus Great Ormond Street in London am Freitagabend mit. Ursprünglich sollten die lebenserhaltenden Maßnahmen nach Angaben der Eltern am Freitag eingestellt werden.

"Wir haben heute Gespräche mit Great Ormond Street geführt und sie haben zugestimmt, uns noch ein bisschen mehr Zeit mit Charlie zu geben", schrieb Mutter Connie Yates am Freitag auf ihrer Facebookseite.

Eltern scheitern vor Gericht

Das Schicksal des kleinen Charlie bewegte Großbritannien. Er hat eine seltene genetischen Erkrankung. Haben die Eltern deshalb das Recht, ihren Sohn gegen die Empfehlung der Ärzte für eine experimentelle Behandlung in die USA zu bringen? Die Gerichte entschieden anders.

Anfang der Woche waren Charlies Eltern endgültig vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gescheitert. Sie hatten ihr Kind für eine experimentelle Therapie in die USA bringen wollen.

Die britischen Ärzte, die den Jungen bisher behandeln, sind aber überzeugt, dass die Therapie nicht helfen würde, weil das Kind bereits irreparable Schäden am Gehirn erlitten habe. Sie fürchten, dass der Junge unnötig leidet, und forderten, die Behandlung einstellen zu dürfen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilte, dass die lebenserhaltenden Maßnahmen für Charlie eingestellt werden dürfen. Nationale Stellen hätten einen weiten Einschätzungsspielraum im Bereich der experimentellen Medizin für Todkranke und wenn es um sensible moralische und ethische Fragen gehe, entschieden die Richter. Die britischen Gerichte hätten den Fall zudem akkurat und sorgfältig geprüft. Das Urteil ist endgültig.

Fall beschäftigte die Briten monatelang

In Deutschland wäre das Tauziehen zwischen Eltern und Ärzten möglicherweise anders ausgegangen. "An dem Fall wird deutlich, dass die medizinrechtliche Kultur in Großbritannien — anders als in Deutschland — sehr paternalistisch geprägt ist", sagt der Basler Rechtsprofessor Bijan Fateh-Moghadam. "Dem Staat wird recht großzügig gestattet, in das Eltern-Kind-Verhältnis einzugreifen. Die staatlichen Gerichte treten sozusagen als der oberste Erziehungsberechtigte auf." Macht bekämen dadurch auch die Mediziner, meint Fateh-Moghadam. "Da steckt der Gedanke dahinter: Wir wissen besser als die Eltern, was dem Wohl des Kindes dient, die getrieben sind von ihren Emotionen."

An Emotionen fehlte es im Fall Charlie Gard nicht. Die Mutter Connie Yates postete auf Facebook regelmäßig öffentlich Fotos: Sie mit Mann und Kind auf einer Wiese ("Unser erstes Familienpicknick"); sie selbst abgemagert am Bett ihres Sohnes ("Das machen 7 Monate Stress mit dir"); andere Kinder, die an derselben Krankheit leiden sollen, aber dank einer Behandlung weiter leben ("Charlies Zukunft?"). Ein anderes Foto zeigte das Baby mit offenen Augen. "Ein Bild spricht tausend Worte", kommentierte sie. Kein Wunder, dass der Fall die Nation monatelang beschäftigte.

(wer/dpa)
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