Papst Benedikt XVI. wird 85 Jahre alt Auf dem Weg zur neuen Kirche

Rom/Berlin · "Entweltlichung" ist das theologische Wort des Jahres 2011. Damit meinte Papst Benedikt XVI. in Freiburg auch die Trennung der Kirche von Besitz. Seither wird darüber diskutiert, was das konkret zu bedeuten habe. "Entweltlichung" aber beschreibt das zentrale Kirchenbild des Papstes. Eine theologische Zwischenbilanz zum 85. Geburtstag des Papstes.

Papst Benedikt XVI., sein Leben, sein Wirken
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Noch immer scheint diese Reise nicht beendet, nicht ans Ziel gekommen zu sein. Weil noch immer jene Worte nachwirken und in der Kirche hierzulande arbeiten und rumoren, die Papst Benedikt XVI. während seines Deutschland-Besuchs im vergangenen September den Katholiken zu bedenken gab. Dabei wurde auch das theologische Wort des Jahres geboren, dass manche als "schillernd" empfinden: das Wort von der notwendigen Entweltlichung der Kirche.

Der deutsche Papst hat der Kirche damit freilich keine Flucht aus der Welt empfohlen, gar verordnet; es ist keine Flucht vor Verantwortung, wohl aber eine Art "Aufruf zum Fasten", wie es der Bochumer Theologe Thomas Söding meint. Weil sich die Kirche nach den Freiburger Worten des Papstes mitunter selbstgenügsam in der Welt eingerichtet habe. Und so könne erst aus der Entweltlichung das missionarische Zeugnis klarer zutage treten und eine größere Reinheit der christlichen Botschaft erwachsen. Entweltlichung mache frei; und deshalb sei auch die Epoche der Säkularisierung — die Enteignung von Kirchengütern — letztlich hilfreich gewesen, erklärte der Papst damals zum Erstaunen mancher Zuhörer.

Es war keine Rede von vielen: Es war die letzte seines Deutschlandsbesuches, eine Wegweisung, bewusst ans Ende der Reise gesetzt. Auch deshalb sehen nicht wenige darin ein theologisches wie pastorales Vermächtnis von Benedikt XVI., das sich zu seinem 85. Geburtstag näher zu betrachten lohnt.

Debatte um Pius-Bruderschaft

Zunächst aber ist nach der Abreise des Heiligen Vaters die Frage zurückgeblieben, was das denn jetzt konkret zu bedeuten habe, welche Schritte der Umsetzung nun getan werden müssen. Die Auslegungen seiner Worte sind bis heute vielfältig, dementsprechend breit gefächert auch die Antworten. Es gibt forsche Vertreter, die die Rede beherzt wörtlich zu nehmen gedenken wie die Pius-Brüder, die vor allem auf die Kirchensteuer abzielen. Ausgerechnet die konservativen Strenggläubigen rufen aus diesem Grund seit kurzem zum Kirchenaustritt auf, natürlich nur aus der Kirche als Körperschaft öffentlichen Rechts. Das bedeutet eine Befreiung vor jener Kirchensteuer, die zur missbräuchlichen Verwendung verführe und zur Zerstörung des Glaubens beitrüge. Stattdessen bitten Pius-Brüder um Spenden.

Das sind Randerscheinungen dieser Entweltlichungs-Debatte, die sich schlecht auf Steuerfragen reduzieren lässt. Und doch bleibt die Trennung von Gütern für die Kirche seit der Freiburger Rede ein dominantes Thema. Es wird derzeit viel spekuliert, ob eine entweltlichte Kirche tatsächlich zu neuer Unabhängigkeit verhilft und einer größeren spirituellen Freiheit; ob die Loslösung von materiellen Bindungen auch eine Konzentration auf Gott bedeute. Ob Kirche somit wieder stärker das sein kann, was sich Benedikt von ihr wünscht — nämlich ein Skandal zu sein und eine Zumutung mit all ihren Unglaublichkeiten.

Die Kraft der Rede von Freiburg ist ihr Geist. Denn im damals sechsten Jahr seines Pontifikats hat der Papst nichts weniger als sein Kirchenbild vorgestellt. Aus seinen Entwürfen einer Ekklesiologie in den 60er Jahren ist dieses Kirchenverständnis erwachsen, das vor allem biblisch geprägt ist und das aus dem Johannesevangelium mit dem Jesus-Gebet sein Leitmotiv bezieht: "Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin." Aber Benedikt XVI. betreibt damit keine Exegese. Er nutzt die Bibel für sein Kirchenbild des 21. Jahrhunderts als historische Quelle. Sie ist für ihn "Gotteswort in Menschenwort", wie es Söding formuliert.

Abschied von der Volkskirche

Aus dem Alten Testament stammt auch die Geschichte, mit der Benedikt der Kirche der Gegenwart das Beispiel einer erfüllten Entweltlichung anschaulich macht. Es ist die Erinnerung an den Stamm Levi. Als einziger Stamm in Israel war er ohne eigenes Erbland. Was er besaß, war allein Gottes Wort.

Erst einige Zeit nach Freiburg wird deutlich, dass die Kirche — und insbesondere die immer noch reiche und als überinstitutionalisiert geltende in Deutschland — künftig eine andere, eine neue sein wird. Nach dem Abschied von einer Volkskirche beginnt die Kirche ihr Profil als eine Gemeinschaft der Entschiedenen zu entwickeln. Es wird besondere, eigene Lösungen geben müssen, gerade in Deutschland mit der weltweit einzigartigen Form eines einflussreichen Laien-Katholizismus. Überdies wird es fraglich bleiben, ob eine scheinbare Weltnähe von Kirche jede Fehlentwicklung zu erklären vermag. So hat der Papst in Freiburg auch die Missbrauchsfälle in Deutschland angesprochen und gleich darauf die Forderung erhoben, dass es "um so mehr" an der Zeit sei, die "wahre Entweltlichung" zu finden. Es bleibt dabei das Unbehagen eines zu schnellen und nur theologisch begründeten Freispruchs der priesterlichen Täter.

85 Jahre wird Papst Benedikt XVI. am Montag alt. Ein Alter, in dem fast alle Menschen sich im Ruhestand befinden. Aber sogar Kritiker räumen ein, dass der Papst noch etwas zu sagen hat. Dass er Fragen an uns stellt, die nachhaltige Antworten fordern. Das Pontifikat hat mit Freiburg neue Fahrt aufgenommen. Und es ist, als hätte Benedikt XVI. ein neues Kapitel aufgeschlagen.

(RP/jre/rm)
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