USA 19 Jahre, Zahnspange, Bürgermeister

Indian · Ein Bier in der Kneipe ist für ihn tabu, ein Amt nicht: Brandon Paulin ist jüngstes Stadtoberhaupt der USA. Vor ihm türmen sich die Probleme.

 Brandon Paulin ist ein Bürgermeister mit Zahnspange.

Brandon Paulin ist ein Bürgermeister mit Zahnspange.

Foto: Facebook

Head Was als Erstes auffällt am Bürgermeister von Indian Head, sind die Plättchen seiner Zahnspange. Brandon Paulin trägt sie mit derselben Selbstverständlichkeit, wie er die Viertklässler abklatscht, die unter der Rubrik "Wenn ich Bürgermeister wäre" aus Briefen vorlesen. Versuchen sich ältere Politiker in der lässigen Geste, kann es schnell anbiedernd oder albern aussehen. Paulin wirkt wie der große Bruder, der jüngeren Geschwistern Mut macht. Er ist ja selbst erst 19.

In dem Alter darf er zwar in keiner Kneipe ein Bier bestellen, wohl aber für ein Amt kandidieren. Letzteres hat er getan, und als Indian Head, ein Ort mit rund 4000 Einwohnern im US-Bundesstaat Maryland an der Ostküste, im Mai über einen neuen Gemeinderat entschied, erhielt er 239 Stimmen, 52 mehr als der Zweitplatzierte, 99 mehr als der Dritte. Damit ist Paulin nun der jüngste Bürgermeister der USA. Sein Vize heißt Ron Sitoula, ist Finanzbeamter und stammt aus Nepal. Sitoula setzte ein Zeichen, als er seine 5000 Dollar Jahressalär für einen guten Zweck spendete.

So voll war es lange nicht mehr im Grünen Pavillon, einer Halle im Stadtpark, in der das monatliche Bürgerforum stattfindet. Einer nach dem anderen tritt vorn neben das holzgeschnitzte Haupt eines Indianerhäuptlings, um kundzutun, was ihn stört. Eine leere Ladenzeile, hässlich mit Sperrholzplatten vernagelt, vergammelt direkt an der Hauptstraße. Sogar die Drogeriekette CVS, eigentlich überall präsent in Amerika, hat aufgegeben. Teenager brechen Autos auf - oft aus purer Langeweile, glaubt der Sheriff. Ein Basketballplatz müsste her, damit sie sich austoben können.

In Indian Head regiert die Tristesse, obwohl Sitoula stolz erzählt, dass den Grünen Pavillon gerade mal 22,2 Meilen vom Weißen Haus trennen. Den Zugang zum Potomac River, der majestätisch breit in Richtung Atlantik fließt, versperrt eine Kaserne der Navy. Es gibt weder eine Brücke noch eine Fähre, die ans andere Ufer führt, nach Virginia. Indian Head liegt im toten Winkel des boomenden Washingtoner Speckgürtels. Und über Dennis Scheessele, einen Mann Ende sechzig, der viermal in Folge Bürgermeister war, heißt es im Saal, dass er zuletzt praktisch nichts mehr tat.

Paulin, Sohn eines Polizisten, der das Kapitol in der Hauptstadt bewacht, machte den Leerstand bereits zum Thema, da war er gerade zwölf. Bei einem Forum forderte er empfindliche Strafen für Besitzer von Gewerbeimmobilien, die sich allenfalls halbherzig um neue Mieter bemühen, weil sie den Verlust von der Steuer absetzen können. Heute setzt er auf Steuernachlässe, um Unternehmer anzulocken.

Er klingt, als wäre er ein Profi der Wirtschaftsförderung. Dabei macht er alles nur nebenbei. Morgens erledigt Paulin Amtsgeschäfte, dann studiert er an der University of Southern Maryland Politikwissenschaft, abends ist er wieder Bürgermeister. Sein Lieblingspräsident ist Dwight Eisenhower (1953-1961), ein moderater Republikaner, ein Praktiker, der Autobahnen bauen ließ und sonst nichts änderte an den sozialen Netzen, die Franklin D. Roosevelt geknüpft hatte. "Ich bin ein Tatmensch", sagt Paulin.

Das ist typisch für die Art, wie junge Amerikaner sich sehen. Untypisch ist, wie Paulin sich engagiert. Das "kleinkarierte, zerbrochene" System, wie es der zerstrittene Kongress symbolisiere, halte junge Leute davon ab, über eine politische Karriere auch nur nachzudenken, schreiben die Politologen Jennifer Lawless und Richard Fox in dem Buch "Running From Office". Nur sieben Prozent der 13- bis 25-Jährigen, haben die Autoren ermittelt, können sich vorstellen, für ein Amt zu kandidieren, "derselbe Prozentsatz von Amerikanern, die behaupten, schon einmal ein Raumschiff mit Aliens gesehen zu haben".

Um die Welt zu verbessern, zitieren Lawless und Fox einen College-Absolventen namens Leo, bleibe man dem Parteibetrieb besser fern. Von außen sei es einfacher, Lösungen zu finden. Die Bestandsaufnahme ernüchtert schon deshalb, weil die USA mehr als fast jedes andere Land angewiesen sind auf Bürger, die zu Wahlen antreten. Über die Besetzung von 520 000 Ämtern, vom Sheriff über den Schulbezirksvorstand bis hin zum Hundefänger, wird per Votum entschieden.

Will er mal Politiker werden? "Sollten die Leute es unbedingt wollen, denke ich darüber nach", zieht sich Paulin diplomatisch aus der Affäre. Jedenfalls fühle er sich weder der Linken noch der Rechten verpflichtet: "Die Linie, die ich ziehe, verläuft ziemlich genau durch die Mitte."

(RP)
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