Schönschreib-Boom Aber bitte mit Schnörkel

Nürnberg · Tippen ist nicht alles: Viele Menschen schreiben wieder gerne mit der Hand. Die Stiftehersteller verkaufen mehr Füller, und "Schönschreiben" ist wieder in Mode. "Handlettering" heißt der Trend, von dem etwa Illustratoren profitieren.

Deutschland ist digital und tippt auf Tastaturen und Touchscreens. Stirbt die Handschrift deshalb aus? Nein. Es gibt einen, wenn auch kleinen Gegentrend zu Computerbuchstaben: Aufsteller vor Geschäften, Tafeln vor Cafés und Empfehlungen in Buchhandlungen sind heute oft von Hand beschriftet. Stiftehersteller freuen sich über den Trend des "Handlettering", der kunstvollen Schönschrift mit der Hand, und über einen neuen Boom der Füller.

"Ich bekomme Anfragen von Lokalen, Bäckereien und Burger-Läden, ihre Tafeln schön zu gestalten. Das Bewusstsein für die Handschrift kommt langsam zurück", sagt die Mainzer Illustratorin Annika Sauerborn alias "Frau Annika", Autorin von Büchern über "Handlettering". Silke Böhme, Buchhändlerin bei Hugendubel in Wiesbaden, erklärt an einem Buchregal mit zahlreichen kleinen Zettelchen: "Unsere Buchempfehlungen sollen persönlich rüberkommen, deshalb schreiben wir sie mit der Hand. Wenn die Kollegen wollen, schreiben sie auch ganz bewusst ihren Namen dazu."

Über kräftiger klingelnde Kassen beim Stifteverkauf freut sich der Geschäftsführer des Industrieverbands Schreiben, Zeichnen, Kreatives Gestalten (ISZ) in Nürnberg, Manfred Meller. Die neue Begeisterung vor allem für Füller, auch bei jungen Leuten, dauere schon ungefähr fünf Jahre an. "Noch vor 20 Jahren hatten wir schwer zu kämpfen", erinnert sich Meller. Grund seien ein Boom billiger Produkte aus Asien und die Digitalisierung der Büros gewesen. Dann sei es für die Branche wieder bergauf gegangen: "Wir haben nun wirklich eine gute Konjunktur." Beim Hype um Ausmalbücher für Erwachsene habe es sogar Sonderschichten gegeben. Inzwischen ist dieser Trend allerdings wieder abgeflaut.

Dafür kommt "Handlettering". Dieser Trend ist laut Sandra Suppa, Sprecherin des Stifteherstellers Faber-Castell in Stein bei Nürnberg, noch nicht so prägnant wie die Lust am Ausmalen. Sie vermutet aber, "dass er vielseitigere Einsatzmöglichkeiten bietet und somit von längerer Dauer ist". Seine Fans hätten die Möglichkeit "des meditativen Versinken, des kreativen Flows". Zudem drücke die individuelle, persönliche Handschrift für den Empfänger eine hohe Wertschätzung aus, so dass persönliche Gruß- und Einladungskarten sowie Postkarten derzeit ein ungewöhnliches Revival erlebten.

"Handlettering" ist ein buntes Spiel mit Buchstaben, oft verschieden groß oder mit unterschiedlichen Formen und Schriftarten, mit Schnörkeln, Verzierungen und Symbolen. "Das hat nicht so sehr mit Schreiben zu tun, sondern mit Zeichnen", erklärt Annika Sauerborn in ihrem Atelier voller Stifte, Papierbögen und Skizzen. Viele Menschen wollten wieder mehr mit den Händen machen und freier werden von Bildschirmen. ",Handlettering'", sagt die Illustratorin, "sieht einfacher aus, als es ist. In Workshops wissen viele gar nicht mehr, wie alle Buchstaben in Schreibschrift aussehen."

Ulrich von Bülow, Ableitungsleiter im Deutschen Literaturarchiv Marbach nahe Stuttgart, weist auf Schriftsteller hin, die heute noch bewusst mit der Hand schreiben, beispielsweise Peter Handke und Martin Mosebach. "Das ist eine andere, diszipliniertere Art des Schreibens. Man kann nicht wie am Computer beliebig oft korrigieren", erklärt der promovierte Germanist.

Auch in anderen Ländern gibt es die Liebe zu individuellen Buchstaben. Meghan Markle, US-amerikanische Verlobte des britischen Prinzen Harry, hat in einem Interview gesagt, sie habe einst mit ihrer schönen Handschrift, zum Beispiel für Hochzeiten, Geld verdient: "Handschriftliche Briefchen sind eine verlorene Kunstform." Apropos "verloren": Es gibt auch Bereiche, wo die Bedeutung der Schreibschrift im Zuge der Digitalisierung noch weiter zurückgeht, etwa in der Schule. Vor wenigen Jahren hat Finnland mit der Ankündigung Schlagzeilen gemacht, für Schüler das Tippen auf Tastaturen in den Vordergrund zu rücken. Germanist von Bülow: "Auch in Deutschland geht die Tendenz dahin, Schreibschrift mit weniger Nachdruck zu lehren. In den Schulen, die ich durch unsere Kinder kenne, können die Lehrer nach einiger Zeit die Handschrift ihre Schüler nicht mehr entziffern. Anstatt es ihnen besser beizubringen, bitten sie dann einfach darum, zur Druckschrift zu wechseln. Das finde ich schade."

(dpa)
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