Düsseldorf "Zehn Mädchen in der Klasse weinten"

Düsseldorf · War die Englisch-Prüfung der Zehntklässler an Real- und Gesamtschulen zu schwer? 33.000 Unterzeichner einer Online-Petition meinen das. Schüler beklagen unverständliche Aufgaben und Zeitmangel - und hadern mit Prinz Harry.

Binnen 24 Stunden fast 33.000 Unterstützer zu sammeln - das will schon was heißen. Dario Schramm (16) aus Bergisch Gladbach ist genau das gelungen, mit einer Online-Petition. Und mit einem Thema, das traditionell in kürzester Zeit die Gemüter in Wallung bringt: Schule. Genauer: Prüfungen. Dieses Mal geht es um die zentralen Prüfungen der zehnten Klassen in Englisch. Dario Schramm will, dass die Arbeit wiederholt wird.

Gut 100.000 Schüler an Haupt-, Sekundar-, Real- und Gesamtschulen mussten am Donnerstag antreten. Thema war dieses Jahr Südafrika. Geprüft wurden das Verständnis gesprochener und geschriebener Texte, Wortschatz und die Fähigkeit, selbst Texte zu schreiben. Nennenswerte Probleme gab es dabei offenbar nur in der Arbeit, die in den B-Klassen der Hauptschulen, an den Realschulen und in den Erweiterungskursen der Sekundar- und Gesamtschulen geschrieben wurde.

Unverständliche Aufgaben, komplexe Themen, Zeitmangel - das ist als Kritik zu hören. Lehrer und Schüler berichten zudem übereinstimmend von zwei konkreten Knackpunkten: den Aufgaben zum Hörverstehen und der Schreibaufgabe. Vorgespielt wurden ein Podcast der Sängerin Miriam Makeba ("Mama Africa") und eine Rede von Prinz Harry. "Das erste war kaum zu verstehen, weil die Frau afrikanischen Slang hatte und Trommelmusik zu hören war. Prinz Harry spricht außerdem sehr undeutlich", kritisiert Schramm, der eine Gesamtschule besucht. "Die Schüler waren schockiert, besonders vom Hörverstehensteil", sagt Bernd Hinke, Leiter der Anne-Frank-Realschule in Düsseldorf: "Sie haben wenig verstanden, obwohl sie viel geübt haben."

Etwas anders liegen die Vorwürfe bei der Aufgabe, einen Text zum Rassismus in Südafrika zu untersuchen: Zwar beklagen auch hier Schüler, der Text sei schwer verständlich. Die geforderte Analyse der Sprache setze aber zudem Oberstufen-Wissen voraus, kritisiert zum Beispiel eine Lehrerin. "Am Ende saßen zehn weinende Mädchen in der Klasse", resümiert eine Schülerin.

"Ich stehe glatt Eins in Englisch, und ich war überfordert", berichtet Laura Lenzen (16) von der Realschule Holzheim in Neuss: "Dabei wurden wir gut vorbereitet, auch mit den Prüfungen der vergangenen Jahre. Die waren alle deutlich einfacher als unsere." Für Schulleiter Hinke ist die Sache klar: "Die Prüfung war zu schwer." Da seien sich die Kollegen einig: "Bei uns haben die Prüfung etwa 90 Schüler geschrieben, keiner fand es einfach. Die Schüler waren teilweise außer sich, es gab Tränen und große Enttäuschung." Sein Kollege Wolfgang Spangenberger von der Realschule Holzheim spricht von einer "unerwartet schweren" Prüfung. Er habe die Englisch-Kollegen gebeten, die Probleme zusammenzufassen, und werde den Bericht kommende Woche an die Bezirksregierung weiterleiten - das ist die Schulaufsicht für die Realschulen.

Spangenberger sagt, er sehe "zwei Möglichkeiten: Entweder wird die Prüfung wiederholt, oder die Bewertungskriterien werden heruntergesetzt." Sein Kollege Hinke unterstützt die Petition für eine Wiederholung der Prüfung. Genau in diesem Punkt sind die Lehrerverbände uneins: Der Verband Lehrer NRW, der vor allem die Realschulen vertritt, hält eine Neuauflage für unabdingbar, "sofern sich die Mängel in den Aufgaben bei der jetzt laufenden Überprüfung durch das Ministerium bestätigen". Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) sieht das anders: Eine Klausur nachzuschreiben "bedeutet doppelten Stress", sagt VBE-Chef Udo Beckmann. Er plädiert für Pragmatismus: "Sollten die Prüfungen tatsächlich so schlecht ausfallen, wie offenbar befürchtet wird, raten wir dazu, das Bewertungsraster neu aufzustellen, um ein angemessenes und faires Abbild der Leistungen der Schüler zu bekommen."

Die Englisch-Arbeit entspreche "den fachlichen Vorgaben für den Unterricht, ist lehrplankonform und lösbar", betont ein Sprecher des Schulministeriums. Weil aber "einzelne Prüfungsteile als sehr anspruchsvoll wahrgenommen wurden", werde man den Schulen Anfang der Woche "weitere Hinweise zu einer angemessenen Einordnung der Schülerleistungen geben". Mit anderen Worten: Bei der Bewertung wird es mehr Toleranz geben. "Gewisse Spielräume" ließen schon die Bewertungsvorgaben, heißt es aus dem Ministerium - wobei Lehrer darauf hinweisen, gerade bei zentralen Prüfungen sei dieser Spielraum minimal, weil Vorgaben strenger seien als bei normalen Arbeiten.

Für die Schüler wird es jetzt darum gehen, sich wieder zu konzentrieren, denn Englisch war, nach Deutsch, erst der zweite Akt. Am kommenden Dienstag steht der dritte und letzte Durchgang auf dem Plan - Mathematik. Für viele ist erst das der richtige Brocken.

(RP)
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