Wülfrath Mit der Marke Rheinkalk geht es abwärts

Wülfrath · Adé Rheinkalk! Seit Jahren werden Hinweise auf die Marke "Rheinkalk" im Stadtbild getilgt. Nun der nächste Schritt: Das Rheinkalk-Stadion heißt jetzt nach dem Mutterkonzern "Lhoist Sportpark". Wülfrath verkümmert zum Produktionsstandort. Die alte große Bedeutung für die Stadt ist weg.

In den vergangenen Tagen konnte es nicht schnell genug gehen. Am Samstag wurden die Ratsmitglieder mit Eilbriefen zur Ratssondersitzung zusammengetrommelt, um den einzigen Tagesordnungspunkt abzuhandeln: die Umbenennung des Rheinkalk-Stadions in "Lhoist Sportpark". Deswegen so ein Theater? Warum so eine Eile? Die Gründe für die Hektik blieben im Dunkeln. Weder Lhoist noch die Stadt mochten sagen, warum diese Umbenennung nun hoppla hopp über die Bühne gehen musste.

Dabei reiht sich der kleine Namenswechsel in eine Reihe grundlegender Veränderungen ein, die die Stadt Wülfrath seit gut zwei Jahren durchmacht. Oder: "Zu erleiden hat", wie einer aus dem Werk Flandersbach sagt. Seit der Mutterkonzern 2014 völlig neu aufgestellt worden ist, verschwindet das Markenzeichen Rheinkalk. So wie Mannesmann in Vodafone unterging, oder auch Raider von Twix verputzt worden ist, hat Rheinkalk keine Zukunft mehr. Das sagt keiner laut, "ist aber so" sagen Politiker und Verwaltung aber leise hinter vorgehaltener Hand.

Als König Philippe im Frühjahr 2015 kam, verschwanden aber die Straßenschilder. Vor dem Besuch wurden hastig alle Straßenschilder überklebt: Lhoist statt Rheinkalk stand ab da überall drauf, der Mutterkonzern zeigte Flagge. Doch das Verschwinden von "Rheinkalk" in Wülfrath hatte viel früher begonnen Werksleiter Ingo Stolzheise musste im Sommer 2015 gehen. Er war einer der wenigen verbliebenen "alten Kalker" in der Führungsetage. Zwar kam der neue Werksleiter Thomas Perterer, doch der fundamentale Unternehmensumbau war in vollem Gange.

Der Vorsitzende des Rheinkalk-Pensionärsvereins, Hans-Peter Schelling, beklagte einmal, dass der Kontakt zwischen Verein und Geschäftsführung seit Jahren eingeschlafen sei. Zwar knüpfte der neue Werksleiter neue Bande zu den alten Kalkern. Festgezurrt wurde aber nichts.

Im August stielte Lhoist die unternehmensrechtliche Zusammenlegung der beiden Betriebsstätten Hauptverwaltung und des Werkes Flandersbach ein. Da diese Verschmelzung auch zur Folge hatte, dass der größere Betriebsrat des Werkes den kleineren der Hauptverwaltung "schluckte", legte Betriebsrätin Gabriele Münse ihr Mandat nieder und ging in Pension.

Durch die Zusammenlegung des Werks und der Hauptverwaltung gibt es heute nur noch ein Rheinkalk-Unternehmen. In Deutschland gibt es zudem nur noch die drei Regionen Zentral, West (mit Flandersbach) und Süd, zusammengefasst unter der belgischen Mutter. Die Folge: Wülfrath ist nur noch eine reine Produktionsstätte mit einer Mini-Verwaltung. Es soll künftig lediglich drei so genannte Cluster bei Lhoist Deutschland geben. Das wäre dann das endgültige Aus des Markennamens Rheinkalk. Das Herz habe man Wülfrath aber bereits 1997 mit dem Wechsel zu Lhoist herausgerissen, nun werde das Beatmungsgerät langsam abgestellt, sagt ein Lokalpolitiker.

Wülfrath wird immer stärker aus der Zentrale im Nachbarland gesteuert. Untrügliches Zeichen: Die schicke Verwaltungszentrale am Kalkstein ist 2015 bereits deutlich leergezogen worden. Große Flächen wurden an eine Velberter Firma weitervermietet. Das Ende wurde aber schon im März 2014 offensichtlich. Vincent Dujardin war neuer Chef bei Rheinkalk Deutschland in Wülfrath geworden. Der 47-Jährige war vorher bei Lhoist in Nordamerika. Dujardin ist seitdem Vorsitzender der Geschäftsführung in Deutschland. Es war das Ergebnis einer neuen Struktur der Lhoist-Gruppe: Dujardin übernahm als Vice President und Managing Director die Lhoist Western Europe (LWE), die aus Deutschland, Belgien und den Niederlanden besteht. Die Internationalisierung ging die entscheidenden Schritte.

Zwar sagte man in der Konzernspitze beim Besuch des NRW-Wirtschaftsministers Garrelt Duin im Herbst 2014 artig die Treue zum Standort zu. Mehr aber auch nicht, denn da in Flandersbach weiterproduziert werden soll, versucht sich das Unternehmen mit Wünschen für den neuen Regionalplan seine Abbaurechte zu sichern.

Viele Politiker sehen hier die letzte Chance, dem Konzern entscheidende Zugeständnisse für die Stadt abzuringen, denn: Neue Untersuchungen hätten ergeben, dass man mehr Abbaufläche benötige, weil die Reserven sonst in 24 Jahren erschöpft seien, teilte das Unternehmen im Frühjahr 2015 mit. Statt 24 will man 50 Jahre fördern. Das Unternehmen will mehr Abbaufläche, die Verlegung von Straßen und den Erhalt einer Halde. Die Stadt möchte kooperieren, in der Politik regt sich die Forderung nach Zugeständnissen. So will man in den Verhandlungen klären, ob Lhoist das kleine Wülfrath nur noch als Abbauort sieht und ansonsten die alten, engen Verflechtungen zwischen Rheinkalk und der Stadt kappe. Denn: Die vielen Personalwechsel in den vergangenen zwei Jahren bestätigen viele Beobachter in ihrer Annahme, dass in dem belgischen Unternehmensteil in Wülfrath Lhoist draufstehe und immer weniger Rheinkalk drin sei. Das Wülfrather Führungspersonal wurde und wird schrittweise ausgewechselt. Die Belgier übernehmen mehr und mehr das Kommando.

In der Stadt keimen Befürchtungen: Rheinkalk unterstützte Jahrzehnte soziale und kulturelle Einrichtungen sowie Sportvereine. Ob die Spenden weiter fließen werden, fragen sich viele. Das gestern vom Rat beschlossene und nun in Verhandlungen zu fixierende Namenssponsoring "Lhoist Sportpark" wirkt wie eine neue Annäherung von Konzern und Stadt. Im Hauptinteresse geht es Lhoist aber eher um die Tilgung der Marke "Rheinkalk" und nicht um soziale Wohltaten für die Sporttreibenden am Erbacher Berg.

Weitaus bedrohlichere Folgen könnte die Abkapselung des Konzerns von der Stadt aber für die Gewerbesteuer haben. Lhoist als Weltmarktführer in der Kalksteinbranche kann kaum neue Kunden akquirieren, die industrielle Produktion wird Umsatz- und Gewinnsteigerungen nicht zulassen. Höhere Effizienz und Überschüsse sind lediglich mit Einsparungen und Steueroptimierungen möglich.

Die Frage ist also: Wo zahlt Lhoist künftig seine Steuern? Noch in Wülfrath, der alten Heimat von Rheinkalk, oder doch irgendwann mal im europäischen Ausland, wo günstigere Steuerkonditionen locken. Spätestens dann wäre die Geschichte der Marke "Rheinkalk" in Wülfrath zu Ende.

Da hätte sich dann die Stadt bei den Einladungen für die Sondersitzung des Rates gar nicht so beeilen müssen.

(rei)
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