Wülfrath Geschichten, die nicht vergessen werden dürfen

Wülfrath · Eva Weyl erzählt an zwei Wülfrather Schulen ihre Lebensgeschichte während der Nazi-Gräuel. Die Erinnerungen der Jüdin sind Aufforderung an junge Menschen, ein anderes Heute zu gestalten.

 Eva Weyl sensibilisiert deutsche Schüler.

Eva Weyl sensibilisiert deutsche Schüler.

Foto: D. Janicki

Eva Weyl steht da in ihrer kuscheligen Strickjacke vor den Schülern, lächelt und erzählt mit ihrer mädchenhaften Stimme aus vergangenen Zeiten die Geschichten, die einfach nicht vergessen werden dürfen. Nicht die einer Kindheit in glücklichem Umfeld, sondern die von einer wärend der im Nationalsozialismus herrschenden Mordmaschinerie, der sie nur knapp und mit viel Glück entkommen konnte.

"Meine Geschichte hat ein Happy End", sagt die heute 80-Jährige. Für etwa sechs Millionen Menschen aber nicht, denn die starben beim Holocaust. Ein glückliches Ende, weil sie als Kind mit ihren Eltern und Großeltern der Vergasung in Auschwitz nur deshalb entkam, weil der Deportationszug ins Vernichtungslager bei einem Luftangriff zerstört wurde. Am Gymnasium und an der Realschule sprach sie gestern zu Schülern.

Als Kind wuchs die in Kleve Geborene auf, floh mit den Eltern nach Arnheim, mit acht Jahren schließlich musste sie ins Durchgangslager Westerbork. Westerbork bedeutete Stacheldraht, Baracken, Dreck und Kälte und trotzdem schwingt Dankbarkeit mit, wenn Weyl daran erinnert, wie sehr ihre Eltern all die Gräuel von ihr abschirmten und sie heute sogar sagt: "Meine Kindheit im Lager war okay."

Moderner Geschichtsunterricht ist das, denn ihre Erzählungen sind nicht die zwischen Buchdeckeln und in Filmen dokumentierten Ereignisse, die für viele in Schwarz-Weiß und deshalb so weit weg daherkommen. Weyls Botschaft ist ein Heute, ein Jetzt. "Ihr jungen Menschen habt keine Schuld an dem was passiert ist. Aber für das, was ihr daraus macht", sagt sie eindringlich an mucksmäuschenstill interessierte Schüler, denen heute oft so gerne politische Teilnahmslosigkeit oder Unkonzentriertheit vorgeworfen wird. Weyl zeigt, dass das Unsinn ist. Ihre Geschichte holt die Jungen und Mädchen da ab, wo die sich selbst erkennen können. Das Lagerleben hat sie in einem Comic gezeichnet und "natürlich solltet ihr alle mal die "Nürnberger Rassegesetze googeln, dann wisst ihr, was da alles passiert ist."

Weyl erinnerte aber auch daran, dass mit der Befreiung Europas 1945 nicht plötzlich alle Nazis weg waren oder gar geächtet wurden. Im deutschen Alltag, ob in Justiz, Verwaltungen oder auch Regierungen machten Alt-Nazis weiter Karriere. Anscheinend ohne Bitterkeit erzählt sie das, doch dass ihre Geschichte über den Nationalsozialismus nicht 1945 endet, sondern auch die Wiederaufbauzeit Deutschlands streift, soll die Schüler wachrütteln. Auch heute gibt es noch Rassismus, Ungerechtigkeit, Antisemitismus. Den gilt es zu bekämpfen, auch in heutigen Zeiten sei es Aufgabe der jungen Menschen, ein anderes Heute als damals zu gestalten.

"Es ist so wichtig, dass wir erzählen. Wichtig, dass die, die Kinder erziehen, etwas erzählen", hat Eva Weyl vor drei Jahren einmal vor Studienreferendaren gesagt. Das gilt auch für die jungen Wülfrather Gymnasiasten - egal ob sie später einmal Lehrer werden oder nicht.

(rei)
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