Wülfrath Der Wunderläufer

Wülfrath · Adolf Wilmsmeyer und das Restaurant "Kleine Schweiz"aus dem Jahr 1908, ohne Alkohollizenz und mit vegetarischer Speisekarte, haben eine bewegende Vergangenheit. Als joggender Hippie ging der erste Gastwirt in die Geschichte ein.

 Wilmsmeyer war Zweiter bei den Deutschen Meisterschaften im 100 km-Langstreckenlauf

Wilmsmeyer war Zweiter bei den Deutschen Meisterschaften im 100 km-Langstreckenlauf

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Zwischen der großen Schweiz und der "Kleinen Schweiz" in Tönisheide liegen beinahe 800 Kilometer. Zu Zeiten Adolf Wilmsmeyers war das schon eine ordentliche Strecke. Vermutlich war der vermeintliche Wülfrather Wunderläufer auch nie dort.

Dafür gab es dort aber ein paar Leute, deren Art zu leben Wilmsmeyer damals beeindruckt haben mag. Zumindest scheint sich der Gründer der "Kleinen Schweiz" so einiges abgeschaut zu haben bei den Vorreitern der Alternativbewegung, die sich nach der Jahrhundertwende am Monte Veritá nahe dem schweizerischen Ascona niedergelassen hatten.

 1907.Wilmsmeyer (2. v. r.) bei einem seiner Gepäckmärsche.

1907.Wilmsmeyer (2. v. r.) bei einem seiner Gepäckmärsche.

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Denn dort lebten mit Karl Wilhelm Diefenbach und Gusto Gräser die "Urväter der Alternativszene" ein Hippieleben fernab jeglicher Konventionen. In Kutte und Sandalen, zuweilen auch ohne Bekleidung, ließen sich Aussteiger aus aller Welt zu alternativen Lebensentwürfen bekehren. Unter ihnen waren auch Hermann Hesse und später Rainer Maria Rilke.

Als "Kohlrabi-Apostel" verspottet, zogen Diefenbach und Gräser durch die Lande, um ein naturnahes Leben in "Lufthütten" zu proklamieren. Dazu gehörte auch, dass kein Fleisch auf den Teller kommen sollte und man sich der Freikörperkultur zuzuwenden hatte.

Ob Adolf Wilmsmeyer in Tönisheide jemals von den Hippies am Monte Veritá gehört hat, wissen wir nicht. Eines allerdings steht fest: Mit der Eröffnung der "Kleinen Schweiz" im Jahre 1908 sorgte er in der Provinz für Aufsehen. Denn dort gab es Grünkohl statt Schweinshaxe. Alkohol kam dem guten Wilmsmeyer schon mal gar nicht auf den Kneipentisch.

Jedenfalls hatte er nur eine Konzession für alkoholfreie Getränke - was sich später noch als Dilemma herausstellen sollte, weil damit einfach nicht genug zu verdienen war. Wer geht schon gern in eine zünftige Kneipe, um sich danach zuhause erstmal ein richtiges Bier aufzumachen?

Womöglich war Wilmsmeyer seiner Zeit auch einfach um ein paar Jahrzehnte voraus. Denn die deutschen Hippiezeiten sollten ja bekanntlich noch kommen und mit vegetarischer Speisekarte wird man heutzutage keineswegs als weltfremd belächelt.

Damals allerdings sorgte Adolf Wilmsmeyer für Furore, und das nicht nur mit seinem unkonventionellen Restaurant. "Er schlief oft auf der Wiese, unterhalb des heutigen Parkplatzes - unter einem gespannten Dach, zwischen vier Kirschbäumen", ist in der Chronik des Restaurants etwa 100 Jahre später zu lesen. Und damit war´s noch nicht genug: Im Winter sprang Wilmsmeyer zum Eisbaden in den Teich.

Weil die Wirtshaus-Einnahmen nicht zum Leben reichten, wanderte er bei Wind und Wetter zu seinem Arbeitgeber Coll und Tiggemann. Das dürfte durchaus vorteilhaft für die Kondition gewesen zu sein. Jedenfalls trat Adolf Wilmsmeyer als "bekannter Wunderläufer" dann auch noch gegen einen "frisch importierten, schwarzen Mann aus Afrika" an.

Letzterem soll durch Schweiß und Regen die schwarze Farbe verlorengegangen sein - was den Tönisheider Wunderläufer jedoch nicht davon abhielt, dann auch noch einen Rundstreckenlauf gegen einen Berliner namens "Kunze" zu veranstalten. Ein joggender Hippie, der unter freiem Himmel schläft und in seiner Kneipenküche nur Gemüse kocht? Vermutlich war das Grund genug für so manchen Gast, sich all das mit eigenen Augen anzuschauen. Irgendwann war dennoch Schluss mit der Kneipe ohne Alkohol und einer Speisekarte ohne Fleisch. Mit Eberhard Wiehoff zog der erste aus der Wiehoff-Familie als Wirt im Kotten ein.

Derweilen ist Adolf Wilmsmeyer einfach weitergelaufen, um sich als Langstreckenläufer bei den deutschen Meisterschaften und als "Gepäckgeher" bei Armeemärschen einen Namen zu machen. Das Traditionslokal blieb derweilen Teil der Wiehoff-Familie und wird mittlerweile in der vierten Generation geführt.

Aber warum heißt es überhaupt seit mehr als 100 Jahren "Kleine Schweiz"? Inhaber Frank Wiehoff hat darauf eine plausible Antwort: "Es gab damals schon den Wald, die kurvenreiche Straße und zahlreiche Wanderwege. Es sah alles aus wie in der großen Schweiz."

(RP)
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